Notärzte für die Seele: Kronacher Notfallseelsorger erzählen von ihren Einsätzen

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Bei dem Unglück im Kronacher Bahnhof, bei dem zwei Männer von einem Güterzug erfasst wurden und starben, betreute Stefanie Mesch gemeinsam mit ihren Kollegen den Zugführer und die Augenzeugen. Foto: Feuerwehr Kronach
Bei dem Unglück im Kronacher Bahnhof, bei dem zwei Männer von einem Güterzug erfasst wurden und starben, betreute Stefanie Mesch gemeinsam mit ihren Kollegen den Zugführer und die Augenzeugen.  Foto: Feuerwehr Kronach
 
 

Bei schrecklichen Einsätzen sind sie immer mit vor Ort. Gesprochen wird über sie aber eher selten, dabei leisten sie wichtige Arbeit. Notfallseelsorger sind auch nach den Einsätzen noch aktiv.

Vor zwei Wochen starben im Kronacher Bahnhof zwei Männer, als sie von einem Güterzug erfasst wurden. Geschehen Unglücke wie diese, beginnt die Arbeit der Ehrenamtlichen von der Psychosozialen Notfallversorgung im Kreis Kronach. Stefanie Mesch (43) und Matthias Simon (49) gehören zu der Arbeitsgemeinschaft, deren Mitglieder in der Bevölkerung als Notfallseelsorger bekannt sind. Warum sie ein Ehrenamt gewählt haben, bei dem es immer um den Tod geht und wie sie den Einsatz im Kronacher Bahnhof erlebt haben, erzählen sie im Interview mit dem Fränkischen Tag.

Bei welchen Notfällen kommt das Kriseninterventionsteam zum Einsatz?

Simon: Wir kommen immer dann ins Spiel, wenn ein Mensch bei einem Notfalleinsatz zu Tode kommt, was im Durchschnitt 35 bis 40 Mal im Jahr vorkommt. Meistens werden wir bei Verkehrsunfällen hinzugerufen, aber auch bei Suiziden oder tödlichen Zugunglücken wie dem jüngsten am Kronacher Bahnhof. Wir fahren auch mit den Polizeibeamten zu den Angehörigen nach Hause, wenn eine Todesnachricht zu überbringen ist. Die Nachricht selbst überbringt die Polizei. Wir sind diejenigen, die anschließend so lange bei den Angehörigen bleiben, bis das soziale Netzwerk greift, also bis Verwandte oder Freunde eintreffen.

Mesch: Und natürlich betreuen wir Augenzeugen und Beteiligte an der Unglücksstelle. Durch das Internet erfahren Angehörige häufig sehr schnell von einem Unfall und sind dann plötzlich vor Ort. Da ist es wichtig, sie auf Abstand zu halten, damit die Rettungskräfte ihre Arbeit machen können.

Wie kommt man zu einem Ehrenamt, bei dem es immer um den Tod geht?

Mesch: Ich bin praktisch im Klinikum Kulmbach aufgewachsen, habe dort die Chemostation mit aufgebaut und beim BRK Rettungsdienst gefahren. Ich wollte einfach den Menschen in schwierigen Situation beistehen. Bei den Einsätzen habe ich mitbekommen, dass die Ersthelfer, Augenzeugen und Angehörige im "ersten Schrecken" des traumatischen Ereignisses nicht bedacht und kontrolliert reagieren, sondern völlig ungeschützt einer Ohnmacht gleich sind und hier nicht allein gelassen werden sollten. Auch wurden früher oft die Einsatzkräfte mit den für sie belastenden Erlebnissen alleine gelassen. Viele vergessen, dass Polizisten und Feuerwehrleute auch nur Menschen sind.

Simon: Auch Helfer brauchen manchmal Hilfe. Ich bin Diplom-Theologe und ausgebildeter Pastoralreferent. Bereits während meiner Gemeindearbeit war ich Teil des Seelsorgeteams. In einer Zusatzausbildung habe ich das richtige Verhalten im Einsatzgeschehen gelernt. In meinem jetzigen Beruf als Religionslehrer arbeite ich, genau wie alle anderen im Team, ehrenamtlich als Notfallseelsorger mit. Wir sind diejenigen, die dann kommen, wenn niemand anderes kommen will.

So war es auch beim jüngsten Unglück im Kronacher Bahnhof mit zwei Todesopfern?

Simon: Ja, ich kam gerade von einem Seminar und hatte mich auf meinen freien Abend gefreut, als die Alarmierung kam. Ich habe dann vom Telefon aus den Einsatz des Kriseninterventionsteams koordiniert und die benötigten Mitglieder nachalarmiert.

Mesch: Ich habe die Leitung vor Ort übernommen. Zu der Zeit waren nicht viele Menschen am Bahnhof, die das Unglück mit angesehen haben. Wäre es statt dem Güterzug ein Personenzug oder eine andere Uhrzeit gewesen, hätte die Sache vielleicht noch einmal anders ausgesehen. So waren wir lediglich zu viert von unserem Team am Bahnhof.

Simon: Hauptsächlich ging es in diesem Fall natürlich darum, den Lokführer zu betreuen und die Augenzeugen, die ja auch von der Polizei zunächst vernommen wurden.

Hatten sie auch schon Einsätze mit mehr Beteiligten?

Simon: Es gibt Unglücke, bei denen die Situation sehr unübersichtlich ist und viele andere Personen in der Nähe sind. Das war bei dem tödlichen Zugunglück im vergangenen Jahr in Kronach der Fall. Es war gerade Freischießen und dementsprechend viel war los. Wir waren mit acht Ehrenamtlichen des Kriseninterventionsteams vor Ort und mussten erst einmal herausfinden, wer tatsächlich etwas gesehen hat und wer mit dem Opfer unterwegs war. Das ist in so einer unübersichtlichen Situation nicht ganz einfach und benötigt Erfahrung sowie Fingerspitzengefühl.

Das Kriseninterventionsteam gibt es seit nunmehr zehn Jahren. Wie war das vorher?

Simon: Eine psychosoziale Notfallbetreuung war zuvor auch schon vorhanden. Diese haben im Landkreis Kronach die Notfallseelsorger übernommen, die es schon seit über 30 Jahren gibt. Allerdings waren sie nicht in die Einsatzstrukturen integriert. Vor zehn Jahren hat das Innenministerium jedoch erkannt, dass es wichtig ist, die Aufgabe flächendeckend und klar strukturiert auf Kreisebene zu organisieren. Daraus entstand die Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Notfallversorgung, das nun klar in den Katastrophenschutz eingebunden ist.

Mesch: Unsere Arbeitsgemeinschaft besteht aus 25 Ehrenamtlichen aus den Bereichen Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz, DLRG, Technischem Hilfswerk, den beiden Kirchen und dem Kriseninterventionsteam bayerischer Schulpsychologen. Inzwischen sind wir ein eingespieltes Team.

Das war nicht immer so?

Mesch: Doch, aber es gab eine Zeit, in der wir während unserer Einsätze belächelt wurden. Mancher dachte sich: "Jetzt kommt wieder die Psychotante." Viele Polizeibeamte und Feuerwehrleute dachten, dass sie keine Schwäche zeigen dürfen. Dieses Bild hat sich glücklicherweise komplett gewandelt. Doch bis dahin war es ein harter Kampf. Inzwischen schauen die Kameraden auch achtsamer aufeinander. Zwei Tage nach einem schweren Einsatz frage ich immer noch einmal nach, ob jemand reden möchte. Doch manchmal melden sich die Feuerwehrkommandanten auch selbst und bitten um ein Gespräch, damit die Kameraden das Geschehene besser verarbeiten können.

Wie schaffen Sie es, andere zu unterstützen, ohne das Geschehen selbst nicht an sich heran zu lassen?

Mesch: Die Einsätze gehen an die Substanz. Umso wichtiger ist es, sich selbst von dem Unglück abzugrenzen. Die eigene Psychohygiene ist immens wichtig. Doch das klappt sicher nicht immer. Jedes Jahr findet eine psychologische Überprüfung statt, ob wir noch diensttauglich sind. Und es kommt schon mal vor, dass ein Kollege für ein paar Monate pausiert oder komplett ausscheidet.

Simon: Wenn Kinder betroffen sind, dann ist das immer besonders schwierig. Oder wenn die Angehörigen an den Einsatzort kommen ohne zu wissen, was passiert ist. Leider kommt auch so etwas vor und umso mehr brauchen die Angehörigen dann unsere Hilfe. Ich erinnere mich an einen Autounfall, bei dem an der Landkreisgrenze drei Jugendliche ums Leben gekommen sind - zwei Tage vor Heiligabend. Wir haben damals zu dritt an einem Nachmittag acht Mal die Todesnachricht überbringen müssen. Solche Einsätze lassen uns nicht kalt.

Gibt es bei diesem Ehrenamt denn auch schöne Erlebnisse?

Simon: Immer dann, wenn wir den Angehörigen in diesem schwierigen Moment helfen können. Es gibt sehr selten Einsätze, bei denen wir nicht gebraucht werden oder nicht erwünscht sind. Und es kommt auch vor, dass sich Angehörige später bei uns bedanken.

Mesch: Manchmal bleiben wir mehrere Stunden bei den Angehörigen, wenn sie sonst alleine wären. Da ist es wichtig, dass wir mit Herzblut bei der Sache sind. Das haben sie in dieser Situation verdient.

Die Fragen stellte Sandra Hackenberg.