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Kronach: Weshalb Tante Emma zum Enkel wird


Autor: Marian Hamacher

Kronach, Mittwoch, 27. Februar 2019

Mit "Ottos Enkel" eröffnet am Freitag (28.02.2019) wieder ein Lebensmittelgeschäft in Kronachs Unterer Stadt. Inhaberin Nadine Schlißke aus Wilhelmsthal setzt bei ihrem Konzept vor allem auf eine Altersgruppe, die nicht so oft im Fokus steht.
Foto: Marian Hamacher


Dosenmilch, Marmelade, Toastbrot oder Chips: Sauber aufgereiht warten die Lebensmittel in einem dunkelbraunen Holzregal darauf, ausgewählt zu werden. Hätten die Dosen, Tüten und Gläser Augen, würden sie derzeit aber noch vergeblich Ausschau nach potenziellen neuen Besitzern halten. Vielmehr haben sie von ihrem Regal aus beste Aussicht auf einen wilden Haufen aus Holzkisten, Körben und Werkzeugkisten.

Doch auch hier soll schon am Freitag (28.02.2019) dieselbe Ordnung herrschen wie nebenan im Regal. "Wir starten zum 1. März", sagt Nadine Schlißke gut gelaunt, während sich im Hintergrund fleißig Handwerker die Klinke in die Hand geben. Dann soll aus der ehemaligen Traber-Beck-Filiale am Kronacher Hussitenplatz endgültig "Ottos Enkel" geworden sein.

Denn so soll die Mischung aus Stehcafé und klassischem Tante-Emme-Laden heißen, der von Stunde zu Stunde mehr Formen annimmt (wir berichteten). "Wir starten allerdings erst mit einem kleineren Sortiment, weil ich noch nicht alle Lieferanten beisammen habe", erzählt die 39-jährige Kronacherin, die inzwischen mit ihrem Mann auf einem Hof in Wilhelmsthal wohnt.

Eine Lücke schließen

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Der ungewöhnliche Name soll übrigens ein kleines Andenken an ihren bereits verstorbenen Großvater sein - und hat dennoch eine weitere Bedeutung. Zwar sollen hier Menschen jeden Alters Gegenstände des täglichen Bedarfs erhalten können, für die es sich nicht lohnen würde, zum nächsten Supermarkt zu fahren, eine Generation hat es Schlißke aber besonders angetan: die Ältesten der Gesellschaft. "Dass es für sie an Angeboten mangelt, sieht man schon, wenn man als Kronacher Augen und Ohren offen hält", findet Schlißke.

Eine Lücke, die sie schließen möchte. Ihre Idee sei es, jeden, der es wünscht, einzubinden. "Wer Langeweile hat, darf gerne herkommen, sich hier unterhalten oder aus der Bücherwand etwas zum Lesen nehmen", erzählt die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren und der farblich passenden Brille. "Ich möchte, dass die alten Leute sich hier gut aufgehoben, wichtig und gebraucht fühlen."

Wer den im Café angebotenen Kuchen nicht nur essen, sondern lieber selbst backen möchte, sei daher herzlich eingeladen, andere an seinen Lieblingsrezepten teilhaben zu lassen. "Wir haben bei uns in Wilhelmsthal viele Apfel- und Kirschbäume, aus denen Marmelade gemacht werden muss. Auch das können sie bei mir im Laden gerne machen und dabei schöne Anekdoten erzählen", sagt Schlißke mit einem Lachen, das sich stark nach Vorfreude anhört.

Die einzige Voraussetzung, um in der Küche aktiv werden zu dürfen, sei allerdings ein Gesundheitszeugnis.

Regionale Anbieter

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Umgewöhnen müssen sich die bisherigen Traber-Beck-Kunden nicht. Während die Stehtische vor die ehemalige Bäckerei zurückkehren, verändert sich auch an den Öffnungszeiten nichts. Unter der Woche stehen die Türen von 6 bis 18 Uhr offen, am Samstag bis 13 Uhr.

Wer sich in der Tante-Emma-Hälfte von "Ottos Enkel" aufhält, dürfte bereits bekannte Einrichtungsgegenstände entdecken. Die Holzkisten, in denen Kunden das Obst und Gemüse präsentiert wird, sehen nicht nur so aus wie jene aus dem benachbarten "Gewürzallerlei". Sie sind es. Da der Gewürzladen aus privaten Gründen schließt und auf Nachfolgersuche ist, wanderten gleich mehrere Kisten oder Regale vom Marien- zum Hussitenplatz. "Momentan kommen Obst und Gemüse noch vom Großmarkt, bald wollen wir aber welches von regionalen Anbietern im Sortiment haben", betont Schlißke, auf die schon bald noch mehr Arbeit zukommt.

Sobald Mitte Mai die Freibad-Saison wieder startet. Denn seit einem Jahr betreibt sie mit familiärer Unterstützung im Marktrodacher Rodach Beach auch den Schwimmbadkiosk "Daher war es auch mein Ziel, dass wir am 1. März aufmachen können." So habe sie noch ausreichend Zeit zu verfolgen, wie sich der Laden in Kronach entwickelt und an welchen Stellschrauben eventuell gedreht werden muss.

Nun hofft Schlißke, die schon seit rund 20 Jahren in der Gastronomie arbeitet, dass ihr Angebot auch wahrgenommen wird. "Ich habe ja mitbekommen, wie oft der Wunsch nach so einem Laden geäußert wurde", sagt sie. "Jetzt wird sich zeigen, ob er auch genutzt wird." Nicht nur die Dosen, Tüten und Gläser werden es beobachten.

Fischer-Kilian: "Manche alten Leute wollen ja einfach nur reden"

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Es dürfte ein lachendes und ein weinendes Auge sein, mit dem Bianca Fischer-Kilian auf die Eröffnung des Lebensmittelladens und Stehcafés "Ottos Enkel" blickt. Traurig allerdings nicht, weil es in Kronach nun ein Geschäft gibt, dass sich mit seinem Konzept explizit an ältere Mitmenschen richtet. "Es ist toll, dass es so etwas gibt. Ich begrüße es sehr", betont die Vorsitzende der Seniorengemeinschaft Kronach Stadt und Land. Vielmehr aus dem Grund, dass es das einzige Geschäft dieser Art in der Kreisstadt sein wird.

Wäre es nach Fischer-Kilians Vorstellungen gegangen, gäbe es nämlich längst einen Ort, an dem sich Senioren in lockerer Atmosphäre treffen und austauschen können. Über 200 genossenschaftliche Anteilszeichner hatte die Seniorengemeinschaft schon überzeugt, Geld zu investieren, um etwa aus den ehemaligen Räumlichkeiten des Discounters Diska ein Begegnungszentrum für Senioren zu machen. Knapp 70 000 Euro waren so bereits zustande gekommen. "Es hätte nur weitergehen müssen. Aber es kam kein Signal der Unterstützung aus der Politik", kritisiert Fischer-Kilian.

Was der Knackpunkt war

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Die Pläne hätten daher komplett begraben werden müssen. Der Knackpunkt: Finanzielle Hilfe seitens der Politik hätte es nur gegeben, wenn das Zentrum für jeden offen gestanden hätte, erklärt Fischer-Kilian. "Aber es wären meine 1000 Mitglieder gewesen, die sich ehrenamtlich darum hätten kümmern müssen, den ganzen Betrieb aufrechtzuerhalten. Daher bleibe es nun bei den nur monatlichen Treffen der Seniorengemeinschaft im Voitländersaal im Kronacher Schützenhaus. "Manche alten Leute, die acht bis zehn Stunden am Tag alleine sind, wollen ja einfach nur reden", sagt sie. Daher überwiegt wohl auch das lachende Auge, weil "ein solches Angebot nun im Kleinen umgesetzt" wird.

Etwas Verbitterung schwingt allerdings mit. In anderen Städten sei ein Begegnungszentrum gang und gäbe. Etwa in Bayreuth oder Coburg. "Da zahlen Stadt und Landkreis und es müssen noch nicht einmal Ehrenamtliche arbeiten. Wir hätten der Bevölkerung hier eine gute Chance geben können, aber die wurde ihr leider verwehrt."