Deshalb kommt es für Rettungskräfte nicht nur aufs Tempo an
Autor: Marian Hamacher
Kronach, Dienstag, 29. Januar 2019
Wenn sich Rettungskräfte auf den Weg zu einem Notfall machen, muss es schnell gehen. Doch das hat nicht die oberste Priorität - es gibt schließlich noch die anderen Verkehrsteilnehmer.
Mit etwa 120 Dezibel tönt das Martinshorn durch die Straße - was eigentlich ausreichen sollte, um wahrgenommen zu werden. Rockkonzerte erreichen eine ähnliche Lautstärke. Die Reaktion: keine. Obwohl gleichzeitig auf dem Dach die beiden fleißig kreisenden Lichter ein kräftiges Blau in das Dunkel der Nacht mischen.
Stur fährt das Auto weiter. Ohne Anstalten, etwas weiter nach rechts zu fahren, um so ausreichend Platz zum Überholen zu bieten. Den fast drei Meter hohen Rettungswagen mit den markanten orangefarbenen Streifen an der Seite scheint der Fahrer nicht zu sehen. Scheint! Dann bleibt er stehen. Unvermittelt. In einer Kurve. "Das ist wirklich meine Lieblingssituation", sagt Martin Schmidt in einem Tonfall, in dem die Ironie mit jeder Silbe zu hören ist.
In den Straßengraben
Besonders oft sei eine solche Situation in der Kurve bei Ruppen kurz vor Marktrodach zu beobachten. "Da beginnt man dann zu pokern. Wenn ein Pkw entgegenkommt, kommt man gerade noch so durch. Kommt aber ein Lkw, hat man verloren", erzählt der Leiter des Rettungsdienstes im Kronacher Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). "Ich denke dann immer, dass der Fahrer das absichtlich wegen mir gemacht hat."
Immer wieder geraten die BRK-Sanitäter in derartige Situationen. 15 Jahre steuerte auch Schmidt die Rettungswagen über die Straßen des Landkreises. Seitdem er vor rund zehn Jahren die Leitung des Rettungsdienstes übernahm, fährt er nur noch bei größeren Einsätzen dorthin, wo jemand nur wenige Minuten zuvor mit meist zittrigen Fingern die Ziffern 112 ins Telefon getippt hat.
Doch so sehr die Rettungskräfte an den Orten erwartet werden, an denen die Notrufe abgesetzt wurden. So langsam die Zeit dort vergehen mag und sich Sekunden wie Jahre anfühlen: Die Geschwindigkeit steht nur an zweiter Stelle. "So blöd es auch klingt: Ein toter Sanitäter ist ein schlechter Sanitäter!", betont der 52-jährige Rettungsdienstleiter. "Ankommen ist das Wichtigste. Da ist man dann lieber mal 30 Sekunden später da als gar nicht."
Man müsse immer damit rechnen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer nicht so reagieren, wie sie es in der Fahrschule eigentlich einmal gelernt haben, wenn sich von hinten ein Fahrzeug mit Blaulicht nähert. "Die fahren immer ganz anders. Das stellen wir immer wieder fest", sagt Schmidt. "Manche geraten wirklich in Panik. Die wollen zur Seite, was sie dann aber nicht richtig können. Und dann ist alles vorbei und sie reagieren völlig konfus."
Was der BRK-Rettungsdienstleiter beschreibt, hat auch Horst Böttcher schon mehrfach erlebt. "Da passieren die übelsten Sachen", sagt der Dienstgruppenleiter der Polizeiinspektion Kronach. Während die einen auf der Fahrbahn anhalten, fahren andere ihr Auto in den Straßengraben.