Der Stern berichtet über die Verfehlung eines Politikers und schon geht ein (#)Aufschrei durch Deutschland, das passiert nicht alle Tage. An Rainer Brüderle oder am Stern liegt es nicht, dass Sexismus so heiß diskutiert wird.

Spätestens, wenn ein Thema bei Jauch & Co. zerredet wird, ist es wohl im Diskurs dieser Republik angekommen. So auch die Debatte um alltäglichen Sexismus, entfacht durch den Artikel einer Stern-Redakteurin. Sie hatte FDP-Politiker Rainer Brüderle vorgeworfen, ihre Oberweite mit unangemessenen Äußerungen bedacht zu haben. Seither ist Brüderle ziemlich in Bedrängnis und die Diskussion zieht immer weitere Kreise.

Das eigentlich Traurige daran ist jedoch, dass es eines Artikels im Stern bedurfte, der zu einem fraglichen Zeitpunkt kam und sicher nicht ohne Seitenblick auf möglichst hohe Verkaufszahlen gedruckt wurde. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre ein Artikel über Sexismus mit genervt-mitleidigen Blicken und Kommentaren bedacht worden, wenn überhaupt. Allein das Wort Sexismus ist ja als Kampfbegriff vertrockneter Feministinnen verschrien.

Sexismus und Chauvinismus sind nicht tot

Dabei sieht die Realität leider anders aus - Sexismus ist immer noch ein Thema. Unter dem Hashtag (Stichwort) #aufschrei schreiben nun viele Frauen (und einige Männer) auf Twitter über das Thema "alltäglicher Sexismus". Dies zeigt, dass es völlig letztendlich unerheblich ist, was genau Brüderle wann zu wem gesagt hat und wo darüber berichtet wurde und ob der Zeitpunkt nun von böser Absicht geprägt ist.

Tagtäglich sehen sich Frauen herablassenden Äußerungen gegenüber, sei es am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in den Medien. Die flapsigen Bemerkungen mögen teilweise nicht ernst gemeint sein, sind als saloppe Anmache oder als "Herrenwitz" gedacht. Sie offenbaren teilweise jedoch ein Frauenbild, das in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts stehengeblieben zu sein scheint.

Die Debatte ist überfällig

Da wäre der ständige Hinweis darauf, wie schön es doch sei, mit einer jungen, hübschen Kollegin arbeiten zu dürfen. Oder gönnerhafte Hilfsangebote sowie chauvinistische Unterstellungen in Bezug aufs jeweilige Lebensmodell. Die jetzige Debatte ist mehr als überfällig, zu sicher wiegte sich die Gesellschaft selbst, klopfte sich selbst auf die Schulter ("Danke, emanzipiert sind wir selbst").

Das Argument, die jetzige Debatte sei ein Schlag ins Gesicht von Vergewaltigungsopfern, führt in die Irre. Die eine Debatte verbietet nicht die andere. Auch der Vorwurf, die Stern-Journalistin hätte eine flapsige Bemerkung provoziert, geht fehl, ja wandert sogar auf einem gefährlich schmalen Grat. Brüderles Bemerkung für sich genommen war eine Petitesse, stand aber auch inhaltlich in keinem Zusammenhang zur Frage der Journalistin.

Es wäre zu wünschen, dass sich die Debatte möglichst bald vom parteipolitischen Tagesgeschäft entfernt, um zum einen nicht instrumentalisiert zu werden und sich andererseits verfestigen zu können als dauerhafter Diskurs, der bitter nötig ist.

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