EM ohne Regenbogen: Zu Menschenrechten kann es keine neutrale Haltung geben
Autor: Io Görz
München, Montag, 21. Juni 2021
Die EM ist in diesem Jahr politisch aufgeladen. Im Zentrum steht die deutsche Nationalmannschaft und die Münchner Allianz-Arena. Warum das nicht nur in Ordnung ist, sondern sogar so sein muss. Ein Kommentar.
Die Fußball-Europameisterschaft der Männer im Jahr 2021 ist sehr politisch: Einige Mannschaften knien vor Anstoß, zuletzt England und Schottland, um ein Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung zu setzen. Die Geste stammt aus der „Black Lives Matter“-Bewegung.
Doch im Pride-Monat Juni gibt es auch Gesten für die Sichtbarkeit der LGBTQIA-Community. So trug der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft beim Spiel gegen Portugal erneut eine regenbogenfarbene Armbinde. Diese Aktionen erregen nicht nur den Unmut von rassistischen und queerfeindlichen Personen, sondern löst – mal wieder – die Debatte aus, wie politisch Sport sein sollte oder darf.
Die EM ist politisch - ob wir wollen oder nicht
Die Antwort ist so klar wie einfach: Sport ist politisch, weil das ganze Leben politisch ist und durch seine Öffentlichkeit kann der Sport gar nicht anders sein. Er muss es sogar.
Es beginnt schon damit, dass Vertreter eines Landes unter Nationalflaggen gegeneinander antreten. Wie kann eine solche Veranstaltung unpolitisch sein? Nationalstaaten sind auch im Sport keine Konstrukte im luftleeren Raum, sondern sind politische Gebilde. Gerade wird dies wieder besonders auffällig, denn es treten Mannschaften gegeneinander an, deren Länder keinen Konsens bei wichtigen Menschenrechtsthemen haben. Themen also, die mehr sind als ein Streit über die Auslegung der ein oder anderen Rechtsnorm, sondern das Leben vieler Menschen ganz grundsätzlich berühren.
Was die Brisanz noch verschärft: Es handelt sich um Länder, die sich gemeinsam in der EU organisiert haben und eigentlich bei den fundamentalsten Themen auf einer Seite stehen sollten. Das ist jedoch leider nicht der Fall: Ungarn hat erst am Dienstag (15.6.2021) ein queerfeindliches und menschenrechtsverletzendes Gesetz erlassen, das etwa die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit einschränkt. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Tausende Protestierende haben gegen das Gesetz gekämpft, doch wurde es vom ungarischen Parlament, das fast nur aus rechten bis rechtsextremen Parteien besteht, beschlossen. In Ungarn ist es darüber hinaus verboten, den Personenstandseintrag zu ändern und Homosexuelle dürfen keine Kinder adoptieren.
Wofür soll die EM stehen?
Sportveranstaltungen sind immer auch eine politische Bühne, ob man nun will oder nicht. Regierungen bekommen die Möglichkeit für positive PR. Die Verbindung aus Sport, Nationalgefühl, heimischer Politik und somit Prestige sind vorhanden. Mit der Teilnahme Ungarns ist die EM der Männer 2021 somit schon politisch, von der ersten Minute an.
Sie wird es nicht durch Protestaktionen, sie wird es nicht durch Gesten für Vielfalt und Offenheit, sie ist es bereits. Die Frage ist nur, welcher Eindruck stehenbleiben soll. Der UEFA ist dies glücklicherweise auch bald eingefallen, nur kurze Zeit, nachdem sie begonnen hatte, gegen den DFB aufgrund der Armbinde von Manuel Neuer zu ermitteln. Die Ermittlungen wurden eingestellt, es wurde erkannt, dass hier ein „good cause“ vorlag und kein Verstoß gegen die UEFA-Statuten. Peinlich genug, dass die Ermittlungen überhaupt aufgenommen wurden.