Wenn 9,2 PS den Berg hochröhren
Autor: Harald Meyer
Gnodstadt, Dienstag, 17. Mai 2016
Der 66-Jährige Gnodstadter Winfried Heinkel und sein Heinkel-Kabinenroller sind ein Hingucker. Der Einzylinder-Viertakter lief vor genau 60 Jahren erstmals vom Band.
Benzinhahn auf, Zündung und Ton ab: Mit rauem Rasenmäher-Sound erwacht die Rarität in der Garage von Winfried Heinkel – ein Heinkel-Kabinenroller. Der 66-Jährige Gnodstadter und sein schnuckeliges Schmuckstück auf drei schmalen Reifen sind ein Hingucker, auf einer Probefahrt und bald beim Dorffest im Ort. Da gibt's vom 26. bis 29. Mai ein Jubiläumstreffen der Kabinen. Denn der Einzylinder-Viertakter lief vor genau 60 Jahren erstmals vom Band.
Zwischengas, der erste von vier Gängen rastet hörbar ein. Und ab geht's. Mit entschleunigter Beschleunigung. Die hat gleich an der ersten Steigung aus Gnodstadt raus, Richtung B 13, ihre Bewährungsprobe. Zwei Mann auf dem schmalen Bänklein, steile Auffahrt. Mehr als Tempo 30 ist nicht drin. 9,2 PS gehen hörbar an ihre Leistungsgrenze, der Wagen vibriert heftig, aber er packt den Berg.
Tempo 60 ist erreicht. Heinkel packt das Steuer fester. Geradeauslauf ist nicht die Stärke seiner „Kabine“. Das merkte der Rentner vor sieben Jahren schon bei seiner allerersten Ausfahrt. 290 Kilometer an einem Tag: „Da waren beide Arme kaputt.“ Der zweieinhalb Meter kurze Autozwerg ist halt nichts für Warmduscher. Null Knautschzone. Vorne ist nur die nach links aufschwingende Türe. Mit viel freiem Blick. Beispielsweise auf einen überholenden Riesenlaster, dessen Schatten den Kabinenroller fast erdrückt.
Der Heinkel ist ein Straßentester. Die Fahrbahn meldet ihren Zustand fast ungefedert an den Po. Ob kleine Rille oder größerer Hubbel – das Dreirad von 1957 leitet alles in den Innenraum. Der ist, man mag's fast nicht glauben, für vier Leute zugelassen. Zwei Erwachsene vorne, zwei Kinder hinten. Die sitzen auf dem 173 Kubikzentimeter großen Motor.
Die Verbindung des 66-Jährigen mit seiner Kabine ist eng, war aber keine Liebesheirat. „Ich habe von einem Opel GT geträumt“. So einen Sportflitzer hatte Heinkel früher, wollte ihn auch als Oldtimer. Ein naher Verwandter drehte dann die Geschichte. Wegen des Heinkel-Clubs. In dem wollte die Autobauer-Familie Heinkel wenigstens einen Heinkel sehen. Vorschlag des Verwandten: „Kauf dir einen Heinkel-Kabinenroller.“
Winfried Heinkel – übrigens mit der Autobauerfamilie weder verwandt noch verschwägert – spielt mit und schaltete 1995 eine Anzeige. Ein Heinkel-Besitzer aus der Nähe von Köln meldet sich, der Gnodstadter und seine Frau fahren hin und kaufen, „ohne zu wissen, was auf uns zukommt“. Für 3800 Mark (Neupreis: 2750 Mark) wechselt das Auto den Besitzer.
Der Zustand der Kabine, die inzwischen 95 000 Kilometer auf ihrem Motörchen hat, ist damals eher mittelmäßig. Heinkel parkt das neuerworbene Gefährt in diversen Scheunen und macht sich kundig, wie er als Nicht-Schrauber seinen Veteranen in einen Top-Zustand bringen kann. Der Zufall will's: Bei der Oldtimermesse Technorama in Ulm trifft der einstige Edeka-Einkäufer einen zweiten Gnodstadter, Gerhard Kleinschroth.