Ein kritischer Geist, gnadenlos ehrlich
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Kitzingen, Mittwoch, 06. Dezember 2017
Karlheinz Rost war in der DDR ein gefeierter Handball-Star. Aber dann legte er sich mit den Parteibonzen an. Wie wäre sein Leben wohl sonst verlaufen?
Ein Café in Gersfeld mit Wursttheke, klein und beschaulich. Irgendwie passt es zu Karlheinz Rost. Der Zweiundsiebzigjährige kommt unprätentiös daher: dunkle Jacke, grauer Pullover, gedeckte Farben auch beim Schal, der als modisches Accessoire herhalten könnte. Eine unaufgeregte, uneitle Erscheinung. Der kritische Geist steckt unter der Oberfläche.
Dem Handballsport hat Karlheinz Rost seinen Bekanntheitsgrad zu verdanken und noch etwas mehr. Mit der Vizeweltmeisterschaft 1970 in Frankreich als sportlichem Höhepunkt. Torschützenkönig im Turnier wurde Rost obendrein. Das alles im Trikot der DDR-Nationalmannschaft. Lange her. Wenn Karlheinz Rost erzählt, hätte es auch vor einem Monat sein können.
Nein, dieser aufrechte Mensch lebt nicht in der Vergangenheit. Aber das Erlebte lässt ihn auch nicht los. Eigentlich soll sich dieses Gespräch um seine Zeit beim TSV Münnerstadt drehen. Aber das hat noch Zeit, findet Karlheinz Rost, der von vorne beginnt. Er erzählt vom Tod des Vaters „mit 49 Jahren, als ich 13 war. Wir waren nicht auf Rosen gebettet. Der Sport bot mir eine Aufstiegsmöglichkeit. Und ich war ehrgeizig.
“ Karlheinz Rost hatte auch mal Fußball gespielt, mit Kumpels bei Lokomotive Engelsdorf. Und geboxt. Das erste Angebot, höherklassig Handball zu spielen, kam von Lokomotive Leipzig. Die erste Berufung in die Nationalmannschaft folgte 1962 – zu einer Zeit, als Feldhandball im Freien und auf Rasen populär war.
Er hätte ein Held werden können
Eine ostdeutsche Sportlerkarriere begann. Status: Staatsamateur. Vormittags wurde gearbeitet, nachmittags trainiert. „Es gab immer eine Verbindung zur Produktion. Ich war nie ganz raus“, sagt Rost, der sich seine Ostmark auch mal im Drei-Schicht-Betrieb verdiente. Und der später noch einmal die Schulbank drückte, die Fachhochschulreife nachholte, um studieren zu dürfen. Ein Held hätte Karlheinz Rost in der DDR werden können. Doch dann legte er sich mit den Parteibonzen an. „Beim SED-Parteitag 1970 in Ostberlin war ich Gastdelegierter. Die wollten mich in der Partei haben“, erzählt er freimütig. „Ich habe aber gesagt, dass ich parteilos abreisen werde. Ich wollte nicht um jeden Preis vorwärtskommen. Und ich war noch nie ein großer Diplomat.“
Konsequenzen nahm er sehenden Auges in Kauf. „Ich habe damals auch in der Nationalmannschaft darüber meine Meinung gesagt. Dass der Parteitag reiner Personenkult gewesen sei und eine reine Showveranstaltung. Sogar das Hotelpersonal war ja mit Stasi-Leuten bestückt. Der Lenin würde sich im Grab umdrehen, habe ich gesagt. Natürlich wusste ich, dass wir in der Mannschaft Spitzel hatten. Daher habe ich dann auch die Quittung bekommen, indem ich vor den Olympischen Spielen 1972 ausgebootet wurde. Zu Olympia nach München durften nämlich nur Genossen.“
Republikflucht war keine Alternative, obwohl gerade die Auslandseinsätze mit der Nationalmannschaft die Sinne zusätzlich geschärft hatten. „Ich sah meine eigenen freiheitlichen Einschränkungen. Aber über den Zaun springen wollte ich nicht. Das hat mit innerer Haltung zu tun. Und ich wollte meine Familie nicht in Gefahr bringen.“ Das Ende des staatlich geförderten Leistungssports in der DDR führte Rost nach Eisenach, später zurück nach Leipzig, wo sich der „unbequeme Mensch“ gar als Fleischerhilfsgeselle verdingte. Im Frühjahr 1986 klappte es dann mit seiner Ausreise.