Der Kredit von Löw scheint verbraucht
Autor: Eike Lenz
Kitzingen, Donnerstag, 18. Oktober 2018
Die Nationalmannschaft in der Krise, der Bundestrainer angezählt: Wie sehen regionale Fußball-Experten die Arbeit und die Zukunft von Joachim Löw?
Nach dem Absturz in der europäischen Nations League steht Bundestrainer Joachim Löw weiter in der Kritik. Wie fällt das Echo in der regionalen Fußball-Szene aus? Der Weltmeister-Coach hat nur noch wenige Fürsprecher, wie unsere Umfrage zeigt.
„Wir müssen nicht alles auf null setzen“
Jürgen Pfau (Vorsitzender des unterfränkischen Fußball-Bezirks, muss nach unserem Anruf erst einmal durchatmen – wir erreichen den Polizeibeamten während dem Dienstsport): Die Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Es gäbe Argumente für, aber auch ge-gen ein Verbleiben Joachim Löws im Amt. Die Leistung der letzten Partie gegen Frankreich macht Hoffnung, aber man wird heute nicht sagen können, ob es richtig war, an ihm festzuhalten.
Die Veränderungen, die er jetzt eingeleitet hat, waren ein erster Schritt. Klar ist aber: Das kann es nicht gewesen sein. Besonders personell braucht es in der Mannschaft einen Neuanfang. Dabei Besitzstände wahren zu wollen hilft niemandem weiter. Keiner ist alternativlos. Wenn Bessere da sind, müssen die auch eingesetzt werden.
Die Situation der Nationalmannschaft ist allerdings nicht mit der von Anfang des Jahrtausends vergleichbar. Damals lag ein langer Prozess hinter ihr, in dessen Verlauf man zu wenig Wert auf den Nachwuchs gelegt hatte. Heute haben wir im ganzen Land unsere Stützpunkte und Nachwuchsleistungszentren. Wir haben eine aus deutscher Sicht enttäuschende Weltmeisterschaft hinter uns und es wird sicherlich nicht über Nacht alles wieder gut werden. Aber wir müssen jetzt auch nicht wieder alles auf null setzen.
„Es wäre an der Zeit, den Weg freizumachen“
Thomas Hofmann (Trainer beim Fußball-Kreisligisten Bayern Kitzingen): Ich bin selbst Trainer und weiß daher, wie schwierig es ist, eine Mannschaft nach einem großen Erfolg bei Laune zu halten und wieder neu zu motivieren. Gelingt das nicht, wächst der Druck, gewisse Entscheidungen zu treffen. Ich denke, bei der Nationalmannschaft ist es höchste Zeit, den Umbruch einzuleiten.
Es gibt erfahrene Spieler, die immer wieder als Säulen hervorgehoben werden, aber ihre Leistung nicht mehr abrufen. Sie spielen in Klubs, in denen der Flow derzeit auch nicht da ist. Es gibt keine Welle, auf der sie getragen und die sie mit zur Nationalelf nehmen könnten – siehe nur Bayern München. Viele Nationalspieler sind vor vier Jahren Weltmeister geworden, haben Spiele wie das 7:1 gegen Brasilien im Hinterkopf. Solche Momente sind aber nicht reproduzierbar. Im Ligabetrieb ist das etwas anderes. Dort verdienen die Spieler ihre Brötchen. In der Nationalelf geht es bloß um Ehre und Stolz.
Deshalb wäre es jetzt Zeit, den Weg freizumachen für junge, unbelastete Spieler. Das sollte auch der Bundestrainer bedenken. Ich bin kein Anhänger überstürzter Entscheidungen, aber ich plädiere für einen Neuanfang, auch im Trainerteam. Nach dem frühen WM-Aus hätte ich mir deutlichere Signale von Löw erwartet.