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Plötzlich war das Taschengeld weg


Autor: Siegfried Sebelka

Kitzingen, Montag, 25. April 2016

In einer Wohngruppe für Behinderte ist das Taschengeld verschwunden. Alle Indizien sprachen gegen eine Pflegehelferin. Für ein Urteil wegen Diebstahls reichte das nicht.


Es ist ein Diebstahl der eher schäbigen Art. In einer Wohngruppe für Behinderte ist das Taschengeld der Bewohner verschwunden. Alle Indizien sprachen scheinbar gegen eine Pflegehelferin. Für ein Urteil wegen Diebstahls reichte das nicht. Das Jugendgericht stellte das Verfahren gegen die 19-Jährige ein.

Die stellte von Anfang an klar und blieb bis zum Ende dabei: „Ich war das nicht.“ „Das“ war ein Vorfall, der sich in einer Wohngruppe für Behinderte abgespielt hat.

Dort leben Menschen zusammen, die allein nicht zurechtkommen. Betreut werden sie im Schichtbetrieb von Erziehern und Helferinnen. Die Menschen sind rundumversorgt. Für kleinere Ausgaben hat jeder einen Geldbeutel. Der wird mit fünf bis 15 Euro am Wochenanfang aufgefüllt.

Zum Leben in der Gruppe gehören Ausflüge, wie im November 2015. Da stand an einem Samstag ein Festbesuch an. Die Geldbeutel werden in solchen Fällen von einem Betreuer mitgenommen. Wenn ein Bewohner was braucht, wird das mit dem Taschengeld bezahlt.

Nach dem Ausflug landen die Geldbeute wieder im verschlossenen Büro des Personals und dort in einem Tresor, der allerdings nicht immer abgeschlossen ist. So war es auch an dem Samstag im November. Es gab am Abend einen Schichtwechsel. Die Fachkraft ging, die Pflegerin übernahm die Bereitschaft in der Nachtschicht. Alles wie gewohnt. Ungewöhnlich war, dass in der Frühschicht festgestellt wurde, dass die kleinen Geldscheine (Fünfer und Zehner) aus den Geldbeuteln weg waren, etwa 40 Euro insgesamt.

Cola und Popcorn

Der Vorfall war Thema bei der Dienstbesprechung am Tag danach. Dabei geriet die 19-Jährige unter Verdacht. Die junge Frau litt unter chronischem Geldmangel. Der war gegen Monatsende so groß, dass eine Kollegin bei einem gemeinsamen Kinobesuch den Eintritt übernahm. Wenig später wunderte die sich, dass die 19-Jährige Cola und Popcorn mit Fünf–Euro-Scheinen bezahlte und weitere im Geldbeutel hatte.

Das wurde in der Dienstbesprechung bekannt und reichte offenbar als Beweis. Jedenfalls hat die Frau inzwischen die Kündigung bekommen. „Ohne eine Begründung“, sagte sie: Sie geht davon aus, dass das verschwundene Geld der Grund war.

So schnell war das Gericht bei der Wahrheitsfindung nicht. Allein in der Nachtschicht, Zugang zum unverschlossenen Tresor, die kleinen Scheine im Geldbeutel: Die Indizien sprachen zwar gegen die Frau.

Allerdings ruderte die Kollegin vom Kinobesuch als Zeugin zurück. Die bei der Polizei protokollierte Aussage mit den Geldscheinen im Geldbeutel wollte sie nicht stehen lassen. „Das habe ich so nicht gesagt“, sagte sie dem Richter. Die 19-Jährige räumte ein, dass sie zwar Schulden habe, aber einen Job und im Notfall immer die Eltern im Rücken. Und sie blieb dabei: „Ich liebe meine Bewohner, auch heute noch. So was könnte ich nicht übers Herz bringen.“

Indizien auf der einen, Zweifel auf der anderen Seite. Dazu ein geringer Schaden und eine Angeklagte, die bisher nie aufgefallen war.

Das Gericht entschied sich nach drei Zeugen und wenig neuen Erkenntnissen für die Einstellung des Verfahrens. Der Staatsanwalt stimmte – nicht gerne, aber „meinetwegen“ – zu. Wo das Geld der Bewohner tatsächlich hingekommen ist, wird wohl nie geklärt werden.