Kitzingen: Zwischen Texas, Breslau und Adolf Hitler
Autor: Robert Wagner
Kitzingen, Montag, 12. Dezember 2016
Straßennamen sind mehr als nur Ortsangaben. Sie erzählen eine Geschichte. Über die Historie der Stadt - aber auch über die Zeit, in der sie benannt wurden. Besonders deutlich zeigt sich das in der Kitzinger Siedlung.
Mainbernheimer Straße, Marktstefter Weg, Buchbrunner Straße – viele Straßennamen in Kitzingen geben vor allem über eines Auskunft: Wo kommt man raus, wenn man dem Weg folgt? Doch Straßennamen sind mehr als nur Ortsangaben. Sie erzählen eine Geschichte. Über die Historie der Stadt – aber auch über die Zeit, in der sie benannt wurden. Besonders deutlich zeigt sich das in der Kitzinger Siedlung.
Eine Frau läuft über die Kreuzung Texasweg und Breslauer Straße. Sie wohnt ein paar Häuser weiter. Ob sie denn weiß, warum die Straßen hier so heißen? „Die Breslauer Straße heißt so wegen den Flüchtlingen aus Schlesien“, weiß die Frau zu berichten.
Sie hat recht: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Menschen auf der Flucht – aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten, aber auch aus den zerbombten Großstädten. Millionen Menschen mussten in einem Landesteil untergebracht werden, in dem blanke Not herrschte. Dafür mussten Lösungen geschaffen werden. Neue Wohnungen wurden gebaut, mancherorts wurden Hauseigentümer gezwungen, Flüchtlinge aufzunehmen. Von solchen Lösungen zeugen noch heute Namen wie „Breslauer Straße“.
Vor dem Zweiten Weltkrieg hieß die Breslauer Straße Schlageterstraße: Albert Leo Schlageter galt dem NS-Regime als „erster Soldat des Dritten Reichs“. Während der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien im Jahr 1923 war Schlageter als militanter Aktivist mit Bombenanschlägen in Erscheinung getreten.
Der Name „Schlageterstraße“ spiegelt die Geschichte des Stadtteils wider: „In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts entstand im Randbezirk von Kitzingen nach und nach ein völlig neuer Stadtteil, die Siedlung“, erzählt Doris Badel, Leiterin des Stadtarchivs Kitzingen. Anselm Caliz gilt als erster „Siedler“. Er hatte laut Archiv 1921 sein Haus auf freiem Feld am heutigen Texasweg errichtet. „Die Siedlung entwickelte sich seit Mitte der 20er Jahre immer weiter nach Osten, seit 1933 wurden hier mehr und mehr gleichförmige Einfamilienhäuser gebaut“, sagt Badel.
Die Bautätigkeit war Teil des sozialen Wohnungsbaus im Dritten Reich, die Straßennamen sollten die Ideologie der Zeit widerspiegeln. Einige Straßen verweisen noch heute auf dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte: Die Skagerrakstraße erinnert an die große Seeschlacht zwischen Deutschem Reich und dem Vereinigten Königreich im Ersten Weltkrieg. Die Memellandstraße sollte das Gedenken an das 1920 von Deutschland abgetrennte Memelland im heutigen Litauen wach halten.
Einige der Namen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aus offensichtlichen Gründen umbenannt: So heißt die Adolf-Hitler-Straße heute Friedrich-Ebert-Straße. „Interessanterweise wollte die SPD die Straße, die damals Bahnhofsstraße hieß, schon in den 1920er Jahren nach Friedrich Ebert benennen“, erzählt Doris Badel. „Der Stadtrat schmetterte den Vorschlag damals ab – Ebert sei als Mensch der Zeitgeschichte nicht wichtig genug.“ Kurze Zeit später hieß die Straße nach Adolf Hitler. Und nach dem Krieg wurde der alte Vorschlag wieder ausgegraben.