Soll Sterbehilfe legalisiert werden?
Autor: Robert Wagner, Sarah Seewald
Kitzingen, Freitag, 25. November 2016
Sterbehilfe oder Palliativversorgung - der Diskurs um ein Sterben in Würde ist wichtig. Dabei prallen unterschiedliche Ansichten aufeinander.
„Ich fahre in die Schweiz.“ Diesen Satz hat Gisela Ott schon mehrmals gehört. Die Menschen, die ihn aussprachen, wollten nicht in die Alpenrepublik um Berge, Käse und Schokolade zu genießen. Sie wollten sterben. Gisela Ott ist ehrenamtlich engagiert im Hospizverein Würzburg. Während viele Menschen sich möglichst nicht mit dem Tod beschäftigen wollen, ist er für die Frau aus Mainbernheim Teil ihres Lebens.
Von all den Sterbenden, die sie in ihren 24 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit begleitet hat, sei nur einer tatsächlich in die Schweiz gefahren. „Der Mann war nicht nur krank, sondern auch sehr allein. Die Einsamkeit war es, die diesen Wunsch erzeugt hat“, erzählt Ott. Viele andere hätten sich umentschieden. Weil sie überrascht waren, wie gut sich Palliativstationen, ambulante Dienste und freiwillige Helfer um sie und ihre Angehörigen kümmerten. Und wieviel Lebensqualität sie durch deren Arbeit auch noch in den letzten Tagen haben konnten. „Deswegen ist es so wichtig, die Menschen zu begleiten. Niemand sollte den letzten Weg alleine gehen müssen.“
Wunsch zu leben
Auch Ute Dodt engagiert sich im Hospizverein. Ihr ist vor allem ein Gespräch in Erinnerung geblieben: Ein todsterbenskranker Mann sei auf einer Palliativstation eingestellt worden. Das heißt, ihm wurden symptommindernde und schmerzlindernde Medikamente verschrieben. Danach lebte der Mann noch ein Vierteljahr zuhause mit seiner Frau. „Die Frau hat mir nach dem Tod ihres Mannes erzählt, dass diese Zeit eine der schönsten und intensivsten in ihrer ganzen Ehe war“, erzählt Dodt.
„Wer sagt, er möchte sterben, meint meist: Mit diesen Schmerzen will ich nicht mehr leben“, erklärt Ott. „Aber eigentlich klammert sich jeder an sein Leben.“ Wichtig sei es deshalb, die lokalen Angebote der Sterbebegleitung und der Palliativversorgung zu verbessern. Und diese Angebote bekannter zu machen. „Viele Dienste, wie die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SPAV) sind vielen Menschen gar nicht bekannt“, bedauert Ott.
So sieht es auch die bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU). Laut Huml sollte das Sterben stärker als Teil des Lebens betrachtet werden – als ein Vorgang, der weder künstlich verlängert noch verkürzt werden soll. Es sei wichtig, allen Menschen ein Leben in Würde bis zuletzt zu ermöglichen. Das gelte auch für Schwerstkranke. Deshalb werde sie sich auch künftig gegen aktive Sterbehilfe einsetzen – und auch gegen organisierte Beihilfe zur Selbsttötung.
In Deutschland ist mittlerweile knapp ein Jahr vergangen, seit die „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe gesetzlich verboten wurde. Anfang 2017 könnte die Entscheidung nach einer Verfassungsprüfung in Karlsruhe wieder gekippt werden. Darauf hoffen die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). „Ohne Gesetz ist die Wahlfreiheit für die Menschen größer“, sagt Wega Wetzel, Sprecherin der DGHS. Ungefähr 25 000 Einzelpersonen seien in dem Verein Mitglied. Nicht alle davon seien auf der Suche nach einer Möglichkeit, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen.
Ungefähr 100 Deutsche würden laut Wetzel jährlich in die Schweiz fahren, um zu sterben. Während es in Deutschland keinen legalen Weg gebe, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, werden die Sterbehilfe-Gesetze in anderen Ländern teils sogar ausgeweitet. Seit 2014 können in Belgien zum Beispiel auch todkranke Kinder mit Einverständnis der Eltern Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Auch in den Niederlanden ist das Thema derzeit aktuell: 2002 legalisierte das Land die aktive Sterbehilfe für unheilbar kranke Menschen. Jetzt will die niederländische Regierung auch alten Menschen ermöglichen, unter staatlicher Aufsicht Suizid zu begehen. Eine Mehrheit des Parlaments begrüßt den Plan.