"Hier kann man einfach mal Mensch sein." Dieter Schmitt schaut über den reich gedeckten Tisch. Die anderen Teilnehmer nicken zustimmend. Seit Mai dieses Jahres bietet das Bayerische Rote Kreuz jeden Montagvormittag ein gemeinsames Frühstück für Menschen mit psychischen Problemen an. Die Stühle am Tisch sind gut besetzt.
Ihren echten Namen wollen die Frühstücksteilnehmer nicht preis geben. Ihre Motivation schon. Da ist der Mann – nennen wir ihn Helmut Braun – dem nach etlichen Schicksalsschlägen fast alle Ansprechpartner im direkten Umfeld abhanden gekommen sind. Manche sind verstorben, andere haben den Kontakt abgebrochen. „Hier kann ich wieder mit anderen Leuten ins Gespräch kommen“, sagt er. „Hier kann ich wieder ganz normal mit jemandem reden.“
Keine Therapiegruppe
Ungezwungen, offen, anonym: So beschreiben die Teilnehmer die Atmosphäre beim wöchentlichen Frühstückstreff. Schmitt ist seit Juli so etwas wie ein Stammgast. Wenn es sein Job zulässt, kommt er regelmäßig in die Beratungsstelle am Königsplatz 5 (Eingang Schweizergasse). „Das Treffen ist loyal“, sagt er. Was er meint: „Nichts von dem, was wir hier bereden, dringt nach außen.“ Die erfreuliche Konsequenz dieser Regelung, die für alle Gäste gilt: Die Hemmschwelle sinkt, man redet offener miteinander.
Die Themen sind dabei ganz gemischt und keinesfalls vorgegeben. „Das ist keine Therapiegruppe“, betont Sozialpädagogin Annette Grüttner. Es geht an diesen Montagvormittagen nicht darum, in die Tiefe zu gehen, psychische Probleme zu analysieren oder gar zu lösen. Die Intention ist eine andere: Menschen, die auf der Suche nach sozialen Kontakten sind, sollen in einer ungezwungenen Umgebung fündig werden.
Das Treffen ist deshalb nicht nur für Menschen mit psychischer Erkrankung gedacht. „Jeder Mensch in einer schwierigen Lebensphase ist willkommen“, erklärt Psychologin Patricia Görz, die zusammen mit der Ehrenamtlichen Yasmin Dillamar die Gruppe leitet. Wobei: Leitet ist das falsche Wort. Jeder Teilnehmer ist gleichberechtigt, keiner übernimmt die Gesprächsführung. „Wir wollen einfach, dass die Menschen wieder miteinander ins Gespräch kommen“, erläutert Görz. „Ohne sich verstellen zu müssen, ohne irgendwelche Vorgaben erfüllen zu müssen.“ Görz und Dillamar nehmen sich im Lauf des Gespräches immer weiter zurück.
Die Idee für das Frühstückscafé stammt aus Würzburg. Dort gibt es das Angebot schon seit mehreren Jahrzehnten. Dass der Bedarf auch im Raum Kitzingen vorhanden ist, hat Grüttner und Görz nicht überrascht. „Unsere Beratungsstelle ist sehr gut ausgelastet“, sagt Görz. „Es gibt viele Menschen, die soziale Kontakte suchen.“
Harald Fokler ist so ein Mensch. Auch er ist so etwas wie ein Stammgast im Frühstückscafé geworden. „Ich kann hier auch über persönliche Dinge reden“, sagt er. „Das ist für mich nicht so selbstverständlich.“ Fokler kommt aus einem kleinen Dorf im Landkreis, lebt seit mehr als 20 Jahren in der Stadt. In all der Zeit hat er eine psychische Betreuung erhalten. Betreutes Wohnen, Tageszentrum, Wohngemeinschaften: Fokler kennt einige Einrichtungen für verunsicherte Menschen. Das Frühstückscafé tut ihm ganz besonders gut. „Es ist zwanglos“, erklärt er. „Ich muss mich nicht anmelden und ich muss nicht absagen. Und wenn ich später komme, muss ich mich nicht schlecht fühlen.“
Offen und zugewandt
Heidi Groß kommt an diesem Montagvormittag als Letzte in die Runde. Brötchen, Marmelade, Obst und Kaffee sind noch reichlich vorhanden. Zum vierten Mal ist die Frau aus dem Landkreis Kitzingen dabei. „Ich bin hier, um Menschen kennenzulernen“, erklärt sie. Manche Gesichter am Tisch kennt sie von den letzten Vormittagen, manche sind ihr neu. Die Besetzung wechselt immer wieder. Mit ihr wechseln die Themen.