Druckartikel: „Woche der Wahrheit“

„Woche der Wahrheit“


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Montag, 09. Mai 2016

Die Gewerkschaften wollen für einen besseren Tarifabschluss kämpfen. Die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsratsvorsitzenden im Raum Kitzingen meinen es jedenfalls ernst.
Ernste Gesichter: Die IG Metall hat zu Warnstreiks aufgerufen. Alleine in Kitzingen folgten mehr als 300 Mitarbeiter aus verschiedenen Werken diesem Ruf.


Es waren markige Worte. Und denen sollen Taten folgen. Die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsratsvorsitzenden im Raum Kitzingen meinen es jedenfalls ernst. Und die Arbeitnehmer offensichtlich auch. Etwas mehr als 300 Beschäftigte kamen gestern zum Warnstreik vor den Toren von FrankenGuss zusammen.

Fünf Prozent mehr Lohn. Das fordern die Arbeitnehmer. 2,1 Prozent mehr Lohn für zwei Jahre. So lautet das bisherige Angebot der Arbeitgeber. „Lumpig“, nennt es Walther Mann, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Würzburg. Als „unanständig“ bezeichnet es Holger Lenz, Betriebsratsvorsitzender von Fehrer. Und Norbert Zirnsak, Gewerkschaftssekretär des DGB, beurteilt das Angebot als „maßlose Missachtung unserer guten Arbeit.“

„Die Räder drehen sich nur, wenn wir das wollen.“
Norbert Zirnsak, Gewerkschaftssekretär

Mit „uns“ meint Zirnsak Menschen wie Johannes Harrach und Gudrun Lassak. Zusammen mit rund 30 Kollegen sind sie gestern Vormittag von der Firma Baumüller vor die Werkstore von FrankenGuss gezogen. „Solche Warnstreiks sind auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Lassak, die seit 30 Jahren bei Baumüller arbeitet und schon jede Menge Kundgebungen erlebt hat. „Wenn wir uns nicht wehren, machen die doch mit uns, was sie wollen“, bestätigt Harrach.

Neben der Baumüller-Abordnung waren rund 20 Kollegen von Leoni, 60 von GEA-Huppmann und eine kleine Delegation von Fehrer vor Ort. Den Großteil der Streikenden stellten die Mitarbeiter des Gusswerkes. Für die stellte Walther Mann eine gesonderte Forderung: 30 Euro pro Arbeiter pro Sonderschicht am Wochenende.

„Die Auslastung ist im Moment wieder sehr hoch“, erklärt Gerhard Pfaff auf Anfrage dieser Zeitung. Will heißen: In der Eisengießerei sind 15 Schichten in der Woche normal, in der Aluminiumgießerei sind es 18. „Und in der Bearbeitung kommen wir auf 20 bis 21.“ Die Folge: An jedem Wochenende wird samstags und sonntags gearbeitet. Eine 30 Euro-Prämie für jeden Sonderschichtarbeiter sei angebracht, zumal der Haustarif bei FrankenGuss nach wie vor unter dem Flächentarif liege. „In Sachen Arbeitszeit und zusätzliches Urlaubsgeld haben wir noch Nachholbedarf“, sagt Pfaff. Nachholbedarf sieht Walther Mann ganz allgemein in Sachen Flächentarif. Eine entsprechende Bindung hätten in Kitzingen nur sieben Betriebe. Vorbild für die deutsche Politik seien da die Nachbarn aus Österreich. Dort gebe es seit 1974 ein Gesetz, das die Arbeitgeber verpflichtet, sich tariflich zu binden. Für dieses Mehr an Gerechtigkeit will die IG Metall in den kommenden Monaten eintreten.

Ein Mehr an Mitarbeitern verzeichnet FrankenGuss in den letzten Jahren. Etwa 600 Menschen sind momentan in der Kitzinger Gießerei beschäftigt, rund 40 davon Auszubildende. Vor zwei Jahren waren es laut Pfaff noch 550 Mitarbeiter.

Ein Zuwachs der Beschäftigtenzahl ist für Heinz Rammig, Betriebsratsvorsitzender bei Leoni, nicht absehbar. Weder bei seinem Arbeitgeber, noch bei anderen Unternehmen, die von der Automobilindustrie abhängig sind. „Hinter den Kulissen geht es eher in Richtung Beschäftigungsabbau“, sagt er und meint damit vor allem die großen Automobilbauer in Deutschland. „Und von denen sind wir doch abhängig.“ Die großen Arbeitgeber drohen bei der aktuellen Tarifrunde mit Stellenabbau und der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. „Die Atmosphäre ist giftiger als bei vorhergehenden Verhandlungen“, wundert er sich.

Walther Mann ist über die Entwicklung der vergangenen Tage ebenfalls erstaunt. Ohne Not hätten die Arbeitgeber mit ihrem „lumpigen“ Angebot die Stimmung angeheizt. „Eigentlich will doch keiner zu diesem Zeitpunkt eine Eskalation“, sagt er und bezeichnet die Tage bis zu den Pfingstfeiertagen als „Woche der Entscheidung.“ Jetzt werde sich zeigen, ob der Arbeitskampf auch nach Pfingsten weitergehe oder ob die Arbeitgeber doch noch rechtzeitig einlenken. Die Arbeiter vor den Toren von FrankenGuss rief er zur Solidarität und zum Kampfeswillen auf. Notfalls bis Urabstimmung und bis zu 24- Stunden-Streiks.

„Die Räder drehen sich nur, wenn wir das wollen“, rief DGB-Funktionär Zirnsak den etwas mehr als 300 Streikenden zu und Werner Flierl von der IG Metall ergänzte, dass ohne die Arbeit der Beschäftigten in den Werken gar nichts vorangehe. Von dem aktuellen Angebot von 2,1 Prozent Lohnsteigerung für zwei Jahre hält Flierl herzlich wenig. „Die wollen uns nicht nur ein Jahr, sondern gleich zwei Jahre lang bescheißen.“ Sollte die Arbeitgeberseite in dieser Woche nicht deutlich nachbessern, werde die Arbeitnehmerseite die Warnstreiks ausweiten. „Dafür brauchen wir Eure Solidarität“, rief Flierl den Beschäftigten zu – und erntete zustimmenden Jubel.