Warten auf Hilfe
Autor: Julia Back
, Donnerstag, 09. Oktober 2014
Drei Monate nach dem Unglück ist die Schuldfrage ungeklärt. Die Versicherungen zahlen nicht. Die Betroffenen fühlen sich im Stich gelassen.
Es hat einen lauten Schlag gegeben, als am Morgen des 18. Juli in Bibergau, einem Ortsteil von Dettelbach (Lkr. Kitzingen), der Ausleger eines Autokrans auf ein Wohnhaus stürzte. Dabei wurde das Hausdach durchschlagen und ein Passant unter dem Kran fast erdrückt. Zwölf Wochen später kann die Familie, die im Haus wohnte, immer noch kaum fassen, wie viel Glück sie hatte, dass niemandem etwas passiert ist. Gleichzeitig kann sie nicht begreifen, was sich seitdem getan hat: „Gar nichts“, sagt Manuel Herrlein.
Der 25-Jährige lebt mit seinem 23-jährigen Bruder Frederik in dem Wohnhaus, das in einer ruhigen Nebenstraße am Ortsrand steht. Mutter Petra Stenger wohnte zum Unfallzeitpunkt mit ihrem Mann Robert im Obergeschoss – der Kran zerstörte ihr Schlaf- und Wohnzimmer. Wäre der Unfall eine halbe Stunde früher passiert, stünden sie heute nicht mehr hier. Von ihrem Bett sind nur kleine Stücke geblieben.
Drei Monate später prangt in dem Dach noch immer ein riesiges Loch. Es ist notdürftig mit einer Plane abgedeckt. „Bei jedem stärkeren Wind wacht man auf, weil man einfach narrisch wird, wenn daheim nicht alles in Ordnung ist“, sagt Manuel Herrlein. Ein Gutachter habe den Schaden am Haus unter Vorbehalt auf 80 000 Euro beziffert. Genauer gehe es erst, wenn der Rückbau beginnt.
Auf diesen warten die Brüder immer noch. Bis dahin ist das Obergeschoss unbewohnbar. Jetzt kommt der Winter. Für Folgeschäden, die durch Regen oder Frost entstehen, haftet niemand. „Das Geld haben wir nicht in der Hosentasche, dass wir damit in Vorleistung gehen könnten“, sagt der 25-Jährige. Wie viel Schaden am Mobiliar entstanden ist – das wissen Petra und Robert Stenger noch gar nicht. Der Gutachter für den Hausratsschaden kam erst Anfang September. Bis dahin war alles der Witterung ausgesetzt, weil sie nichts wegräumen durften.
Nach dem Unglück hat sich „ganz Bibergau“ solidarisch gezeigt, Gästezimmer wurden ihnen angeboten, Freunde halfen beim Aufräumen – für so viel Unterstützung sind sie sehr dankbar. Auch die Dachdeckerfirma hat sich mehrfach bei ihnen gemeldet und ihre Unterstützung angeboten. Dass ihnen der Schaden aber bis heute nicht erstattet wurde – „das lässt Zweifel am System aufkommen“, sagt Robert Stenger.
„Wir wollten das Dach sanieren und nicht das Haus zerstören“, erklärt Petra Stenger. Die Dachdeckerfirma hatte einen Kranverleih damit beauftragt, einen kleinen Kran in den Vorgarten zu heben. Der kleine Kran schwebte nur noch ein paar Meter über dem Boden als es passierte – der große Autokran kippt.
„Plötzlich habe ich den Kran auf mich zukommen sehen“, erinnert sich Manuel Herrlein und weiß nur noch, wie er im „Adrenalinrausch“ über die Hecke ins Nachbargrundstück sprang. Dann ging alles ganz schnell. Die Brüder rannten ins Haus, um nach Mutter und Stiefvater zu sehen. Ihre Mutter stand unter Schock. Sie hatte vom Balkon aus beobachtet, als der Kran zwei Meter neben ihr einschlug: „Ich wusste nicht, wo meine Söhne sind“, erinnert sich Petra Stenger und bekommt Gänsehaut, wenn sie an den Tag zurückdenkt.