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Wiesentheid: Warme Luft aus kaltem Boden


Autor: Robert Wagner

Wiesentheid, Freitag, 16. Dezember 2016

In Wiesentheid entsteht ein neues Wohngebiet. Dank "Kaltwärme" soll es komplett CO2 neutral werden.
Für die „Kaltwärmeversorgung“ werden in Wiesentheid mit einem großen Bohrer 65 Meter tiefe Löcher in den Untergrund getrieben.


Als Gemeinde steht man in Konkurrenz mit anderen Gemeinden. „Bauland, Wohngebiete, Schulen und Läden – das gibt es fast überall“, sagt der Wiesentheider Bürgermeister Werner Knaier. „Aber ein Baugebiet, in dem man eine moderne Wärmequelle ohne eigenen Aufwand einfach dazu bekommt, dass hat man nur in Wiesentheid.“

Nun, das stimmt nicht ganz: Die Unterfränkische Überlandzentrale (ÜZ) hat bereits in Schwebheim Erfahrungen mit einem ähnlichen Projekt gemacht. Normalität ist es aber noch lange nicht.

Auch deswegen haben sich am Donnerstag sechs Männer zum ersten Spatenstich im Weihersbrunnener Baugebiet zusammengefunden. Im Schlamm neben dem großen Bohrgerät erklärt einer von ihnen, der Energieberater Alexander Wolf von der ÜZ, was es mit dieser „modernen Wärmequelle“ auf sich hat.

Wie im Kühlschrank

„Wir nutzen hier die oberflächennahe Geothermie“, sagt Wolf. Pro Grundstück werden drei Bohrlöcher 65 Meter in den Untergrund getrieben. In jedem wird eine Sonde eingebracht. In diesen wird eine wärmeleitende Kühlflüssigkeit auf die Umgebungstemperatur von fünf Grad erwärmt und danach wieder an die Oberfläche gepumpt. Mittels einer Wärmepumpe wird der Flüssigkeit die Wärme entzogen, angesammelt und zum Heizen verwendet. Die auf zwei Grad abgekühlte Flüssigkeit fließt dann in den Boden zurück – ein Wärmekreislauf entsteht. „Kaltwärmeversorgung“ nennt Wolf das.

„Das Prinzip kennt jeder, der einen Kühlschrank oder Gefrierschrank zuhause hat“, erklärt der Energieberater. Dort wird der Wärmekreislauf genutzt, um das Kühlschrankinnere zu kühlen. Die dabei entzogene Wärme kann jeder spüren, sobald er die Rückseite des Kühlschranks anfasst: Sie wird von dort ins Zimmer abgegeben. Bei den Wärmepumpen funktioniert es ganz ähnlich. Nur das hier nicht das Kühlen sondern das Heizen das Ziel ist.

Ähnlich wie beim Kühlschrank brauchen die Wärmepumpen Strom. Etwa 20 Prozent der Energie, die letztlich für die Heizung und die Warmwassererzeugung gebraucht wird, fließt als Elektrizität in die Pumpen. Der Rest ist Erdwärme. „Bereits heute gewinnen wir diesen Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien“, betont Alexander Wolf von der ÜZ. „So haben die Hausbesitzer ein Rundumpaket – ökologisch und CO2 neutral.“

Auf dieses „Rundumpaket“ sind Bürgermeister Knaier und der Geschäftsführende Vorstand der ÜZ Lülsfeld, Gerd Bock, besonders stolz. „Der Häuslebauer muss sich hier um nichts mehr kümmern“, sagt Bock. Wenn der Hausbau beginnt, sind die Rohre schon im Boden und die Genehmigungen bereits erteilt. „Der Bauträger muss sich dann nur entscheiden, ob er sein Haus von der ÜZ anschließen lässt“, sagt Knaier und fügt hinzu: „Er wäre aber schlecht beraten, wenn er es nicht macht.“

Warum, das erklärt Bernhard Bedenk von der GF Wärmeversorgung Wiesentheid. „Da wir die Infrastruktur für alle Grundstücke zentral ausgebaut haben, kann jeder einzelne zwischen 4000 und 5000 Euro sparen.“ Beim Grundstückskauf zahlt der Kunde 12 000 Euro für die bereits verlegten Rohre und Sonden. Eine Stange Geld. „Es gibt aber verschiedene Fördertöpfe“, betont Knaier. „Wenn man sich geschickt anstellt, kommt man am Ende bei Null raus.“ Und bekommt dafür ein kostengünstiges und langlebiges Heizsystem: „Die Sonden überlebt man eher nicht“, sagt Bedenk und lacht.

Das Geld war indes auch im Frühjahr in Gerolzhofen ein Thema. Dort plant die ÜZ „Am Nützelbach“ ein Wohngebiet mit Kaltwärmeversorgung. Nicht der ganze Stadtrat stand hinter dem Konzept. Im Februar hatte der 3. Bürgermeister Markus Reuß gegenüber der Presse gesagt: „Ich mache da nicht mit, die Bauwerber zu einer bestimmten Art von Wärmeversorgung zu verpflichten. Die Kosten für die Kaltwärmeversorgung machen die Grundstücke noch teurer.“

Ein Argument, das Werner Knaier für Wiesentheid nicht gelten lässt. „Dahinter steht auch ein ökologischer Gedanke“. Man habe mit der ÜZ beste Erfahrungen gemacht. Seit 2010 betreibt man gemeinsam die „Wärmeversorgung Wiesentheid GmbH“ und versorgt so nicht nur das Gymnasium sondern auch 80 Häuser mit regenerativ erzeugter Energie.

Da der Ausbau dieses Netzes an den neuen Regeln des Erneuerbare-Energien-Gesetzes scheiterte, mussten neue Ideen her. „Wir können im neuen Wohngebiet ja nicht plötzlich zurück zu Erdgas und Erdöl“, meint Knaier. Und die gemeinsam aufgebaute Kaltwärmeversorgung sei nun ein echter Standortvorteil. „Von den ersten 22 Bauplätzen waren bereits 19 in der ersten Stunde vergeben“, erzählt der Bürgermeister. Zweifel, dass sich das Projekt auszahlen werde, habe er deswegen nicht. „Ich habe überhaupt keine Sorge, dass die Bauplätze verkauft werden.“