Druckartikel: Vom Fleisch gefallen

Vom Fleisch gefallen


Autor: Robert Wagner

Kitzingen, Dienstag, 30. August 2016

Die Personaldecke in den Metzgereien wird immer dünner - das führt zu Problemen.
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Zu viert, zu fünft stehen sie hinter der Theke. Kotelett, Kalbsschnitzel und Rinderbraten. Leberwurst, Kochschinken und Pfeffersalami. Zwischendrin Leberkäs und Fleischsalat. „Darf es sonst noch was sein? Nein? Vielen Dank, der Nächste bitte!“ Gerade zur Mittagszeit sind die Mitarbeiterinnen bei Wurst Wachter am Anschlag. Egal wie sie sich beeilen, die Schlange wird kaum kürzer.

Eigentlich ist es ja ein gutes Zeichen. „Die Leut' sagen immer, wenn es einen wirklich vollen Laden in Kitzingen gibt, dann euren“, sagt Romy Wachter, während sie in die Küche hastet. Sie ist im Stress, wie alle hier. Sie könnte locker noch ein, zwei weitere Mitarbeiter einstellen. „Wir sind unterbesetzt“, erklärt die Chefin. Und tatsächlich: An einer Säule in der Fleischerei hängt ein Schild: „Putzkraft gesucht.“ An der Wand, neben den Angeboten des Tages, hängt ein Plakat: „Verkäuferin gesucht“. Während die Angebote regelmäßig wechseln, hängt das Plakat schon lange da. „Wir suchen bestimmt schon ein Jahr“ berichtet Wachter.

Woran es hängt? Vielleicht an den Arbeitszeiten und dem Druck, überlegt Romy Wachter. „Viele, die sich bei uns melden, haben genaue Vorstellungen, wann und wie lange sie arbeiten können“, erklärt die Chefin. Doch sie könne schlecht jemanden einstellen, der nur am Dienstag für vier Stunden arbeiten kann. Romy Wachter nickt kurz, jetzt muss sie aber weiter.

Szenenwechsel. Bei Edeka Waigandt steht Silke Widovez hinter der Fleischtheke. Es ist ebenfalls Mittagszeit. Die Verkäuferin ist alleine. Ob sie ein paar Fragen beantworten kann? „Grad' schlecht“, sagt sie und nimmt sich zwischen zwei Kunden dann doch kurz Zeit. Eigentlich habe sie ja Hotelkauffrau gelernt. Ihre Mutter und ihre Schwester arbeiteten zwar auch in der Fleischbranche. „Ich wollte das aber nie.“ Warum? „Mir ging es wie fast jedem 15-jährigen Mädchen: Ich dachte, 'iiiihh, rohes Fleisch'.“

In der Hotelbranche habe es ihr nicht gefallen. Unstete Arbeitszeiten, Überstunden. Dann habe sie doch in der Fleischerei angefangen. Und die Entscheidung nie bereut. Seit 15 Jahren arbeitet sie nun in der Branche. „Die Arbeit macht Spaß, man hat mehr Kundenkontakt als eine Verkäuferin im Supermarkt, man muss viel beraten“, sagt Widovez. Dass sich trotzdem so wenige für eine Arbeit als Metzger oder Fleischfachverkäuferin interessieren, liegt für sie an Vorurteilen. „Viele haben wohl falsche Vorstellungen. Die denken an Blut, an unangenehme Gerüche. Dabei ist das ja nicht mehr so.“ Manchmal würden Menschen zu ihr sagen, dass sie gar nicht wie eine Fleischverkäuferin aussehe. „Die haben immer noch das Bild einer dicken Frau mit rotem Gesicht vor Augen“, sagt Silke Widovez und lacht.

Ihr Chef Jochen Waigandt hatte vor kurzem eine Stelle als Metzger ausgeschrieben. Er vermutet ebenfalls Vorurteile als Ursache für die sehr bescheidene Zahl an Bewerbern. „Verkäufer findet man viel leichter.“ Auch wenn das nicht mehr so einfach wäre. Man müsse mehr junge Leute dazu bringen, den Beruf wieder zu lernen. „Wenn du heute Verkäuferin in einer Metzgerei lernst, wirst du doch überall mit Kusshand genommen“, meint Waigandt. „Vielleicht müsste da auch an den Schulen schon mehr gemacht werden.“

„Wir machen ja schon verstärkt Werbung“, sagt Innungsobermeister Volker Bausewein. So werde im Oktober beim Rhöner Wurstmarkt in Ostheim gezielt für eine Ausbildung als Metzger geworben. „Aber wir haben eben keine Lobby.“ So werde der Tenor in der Fleischerinnung wohl auch weiter lauten: „Wir brauchen dringend Leute!“

Bei der Frage nach den Gründen für den fehlenden Nachwuchs wirkt Bausewein etwas ratlos. „Viel hat wohl mit einem falschen Image zu tun.“ Die Bearbeitung des rohen Fleisches, das Töten von Tieren, das sei ja nur ein kleiner Teil des Berufs. „Viele schlachten ja nicht mehr selber.“ Außerdem gelte der Beruf weiterhin als schlecht bezahlt und simpel. „Die Anforderungen sind größer geworden und auch die Bezahlung ist gestiegen“, meint Bausewein. Allerdings gebe es immer noch ein paar schwarze Schafe, die ihre Angestellten ausnutzten und so ein schlechtes Bild auf die ganze Branche werfen. Ein weiterer Punkt seien die relativ schwachen Geburtenjahrgänge, die zur Zeit auf den Arbeitsmarkt drängen. Dabei habe man in der Fleischbranche noch Glück im Unglück: „Viele Metzgereien hören auf. Die Leute, die dort ihren Job verlieren, arbeiten dann woanders“, sagt der Obermeister. So halte sich die Zahl offener Stellen noch einigermaßen in Grenzen. Doch die Belegschaft werde immer älter. „Das geht vielleicht noch zehn Jahre gut, aber irgendwann kommt die große Lücke.“

Laut Wolfgang Albert von der Agentur für Arbeit in Würzburg ist das Problem nicht nur auf die Fleischbranche beschränkt. „Der Fachkräftemangel nimmt zu.“ Gerade im Handwerk, in der Metallverarbeitung und im Elektrobereich entstehe eine Lücke. Offene Stellen seien immer schwerer zu besetzen. 685 von ihnen gab es im Juli 2016 im Landkreis Kitzingen. Fünf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Berechnet man den Durchschnitt 2016 im Vergleich zu 2015 so ist die Zahl offener Stellen sogar um knapp 20 Prozent gestiegen. Andererseits gebe es immer noch viele Arbeitskräfte, insbesondere ungelernte, die keinen Job finden. „Da driftet etwas auseinander“, sagt Albert.

Volker Bausewein hofft jedenfalls, dass sich die Personalsituation bessert. „Das Handwerk hat ja eigentlich eine goldene Zukunft.“ Doch die Menschen würden sich eben immer weiter von der Handarbeit entfernen, besonders bei den Nahrungsmitteln. „Früher gab es überall noch Hausschlachtungen“. Es sei klar gewesen: Für Fleisch mussten Tiere sterben. Heute hätten sich die Menschen zu weit von dieser Realität entfernt. „Letztens war eine Mutter mit ihrem Sohn einkaufen. Der Bub fragte, was es zu essen gibt. Und als die Mutter antwortete 'Schweineschnitzel', fragte der Junge: 'Und wie geht es dem Schwein jetzt?'“