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Resistente Keime: Versteckte Gefahr


Autor: Robert Wagner

Kitzingen, Mittwoch, 01. Juni 2016

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts reichte oft eine kleine Verletzung um eine tödliche Spirale in Gang zu setzen. Resistente Erreger bedrohen den medizinischen Fortschritt. Sind die schlimmen Zeiten bald wieder zurück? Ein Besuch in der Kitzinger Klinik.
Eine Labormitarbeiterin hält eine Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien in der Hand.


Es waren schlimme Zeiten. Oft reichte eine kleine Verletzung, ein Schnitt bei der Feldarbeit, um eine tödliche Spirale in Gang zu setzen. Die Infektion breitete sich aus, eine wirksame Therapie gab es nicht. Bis zur Entdeckung der Antibiotika. Gerade einmal 70 Jahre sind vergangen, seit Penizillin – das wohl bekannteste Antibiotikum – das erste Mal industriell hergestellt werden konnte. Doch die „Goldene Zeit“ könnte bald wieder vorbei sein, fürchten Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation WHO.

„Antibiotika waren ein erster Sieg gegen die Bakterien“, sagt Dr. Stephan Rapp, Chefarzt am Klinikum Kitzinger Land. „Aber das Spiel ist noch nicht vorbei. Es gibt noch eine Nachspielzeit - und die läuft immer noch.“ Um im Bild zu bleiben: Die Krankheitserreger haben gerade wieder ein Tor geschossen. In den USA wurde letzte Woche ein Keim festgestellt, gegen den auch Reserveantibiotika – die letzte Geheimwaffe der Medizin – machtlos waren.

Befinden wir uns also auf dem Weg in die Vor-Antibiotikazeit? Chefarzt Rapp gibt sich optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam Schritt halten können mit der Weiterbildung der Bakterien.“ Im Moment gäbe es für fast alle Erreger noch Reservemedikamente. „Wir sind da in einem ständigen Kampf, wer die Nase vorne hat.“ Dazu seien aber finanzielle Mittel in der Forschung nötig – für die großen Pharmakonzerne gibt es jedoch lukrativere Geschäftsbereiche. Größte Bedeutung hat deshalb die Hygiene. „Jeder Mensch ist von Keimen besiedelt“, erklärt Rapp. Im Alltag machen diese meist keine Probleme. Anders sieht es aus, wenn sie auf geschwächte Patienten treffen. „Dann werden die Karten neu gemischt.“ Das trifft auch auf MRSA zu – den wohl bekanntesten Multi-Resistenten Keim. Doch: „MRSA ist nur ein Teil des Problems“, sagt Rapp. Die allgemeine Grundhygiene ist entscheidend.

Für die ist im Klinikum Kitzinger Land seit über zwei Jahrzehnten Schwester Anita Schmitt-Zimmeck verantwortlich. Als Hygiene-Beauftragte obliegt es ihr, Isolierprotokolle zu erstellen, die Umsetzung zu überprüfen und sicher zu stellen, dass die Räume richtig desinfiziert werden. Außerdem schult sie auch das Personal.

Schwester Anita erklärt die Vorsichtsmaßnahmen des Krankenhauses: Jeder „Verdachtspatient“ wird gleich bei der Aufnahme einem „Screening“ unterzogen. Ein Abstrich gibt Auskunft darüber, ob der Patient MRSA auf sich trägt oder nicht. Das Ergebnis folgt dann 24 Stunden später. Betroffene werden isoliert und behandelt. Dr. Rapp stellt klar: „Ein positiver Test heißt nicht, dass man an MRSA erkrankt ist.“ Viele Menschen tragen diesen und andere Keime in und auf sich. MRSA sei heute vor allem auch als „Marker-Keim“ interessant. Er kann Hinweise darauf geben, ob auch andere resistente Erreger, die schwieriger zu identifizieren sind, vorliegen.

Nicht alle Menschen sind gleich gefährdet. Patienten mit chronischen Wunden, Menschen aus anderen Kliniken oder Altersheimen und Landwirte haben ein höheres Risiko MRSA und andere resistente Keime auf sich zu tragen. „Gefährdet ist man immer dann, wenn Durchblutungsstörungen vorliegen oder mit Antibiotika behandelt wurde“, beschreibt Rapp.

Letzteres ist auch der Grund, warum Landwirte als besonders gefährdet gelten. Laut dem Robert-Koch-Institut tragen 70 bis 80 Prozent aller Schweinezüchter resistente Keime in der Nase. „Zwei-Drittel aller Antibiotika werden in der Landwirtschaft verwendet“, sagt Anita Schmitt-Zimmeck. Schnell werde bei einer Erkrankung eines Tieres gleich der ganze Tierbestand vorsorglich behandelt. Das führe zu Resistenzen – denn nur Bakterien, die die Antibiotika-gabe überlebten, könnten sich fortpflanzen und damit ihre Resistenz weiter geben. Auch das Gen, dass bei den resistenten Erreger in den USA gefunden wurde, stammt ursprünglich wahrscheinlich aus der Landwirtschaft: Zuerst wurde es in Schweinen in China entdeckt.

Dr. Uwe Pfeiffle kritisiert deshalb auch den Begriff „Krankenhauskeime“, der oft im Zusammenhang mit MRSA und anderen resistenten Erregern fällt. „Die Wahrscheinlichkeit im Krankenhaus einen sogenannten Krankenhauskeim zu bekommen, ist viel geringer als in vielen anderen Situationen im täglichen Leben“, sagt der Stellvertretende Vorstand der Klinik Kitzinger Land. Schwester Anita ergänzt: „Hier wird er eben erst diagnostiziert“. Die Menschen hätten dann irrtümlicher Weise das Gefühl, sie hätten sich im Krankenhaus angesteckt. Tatsächlich habe es in ihrer Zeit innerhalb der Klinik keine Übertragung von MRSA auf einen anderen Patienten gegeben.

Trotzdem: Ganz unschuldig sind die Ärzte nicht an der Ausbreitung der resistenten Keime. Falsche Dosierungen oder die Gabe von Breitbandantibiotika statt gezielten Therapien – über viele Jahre wurde verschwenderisch mit der Wundermedizin umgegangen. „Als Klinik tragen wir eine besondere Verantwortung, sehr bewusst und reflektiert mit Antibiotika umzugehen“, sagt Dr. Christian Kloeters, Geschäftsführer der Helios Klinik Volkach.

Und auch Patienten tragen zum Problem bei: Zu früh abgebrochene Therapien begünstigen die Ausbildung von Resistenzen. Gefährliche Krankheiten wie Tuberkulose befinden sich so wieder auf dem Vormarsch. Die Helios-Kliniken bieten deshalb seit kurzem einen Onlinekurs zum Thema Antibiotika auch für Nicht-Fachleute an.

In der Klinik Kitzinger Land ist man indes zufrieden mit der eigenen Leistung. Es werde viel gemacht. Allerdings: „Niemand ist so gut, dass er nicht noch besser werden kann“, stellt Chefarzt Rapp fest. Dazu wären aber auch zusätzliche Gelder nötig: „Die Krankenhäuser sind finanziell nicht gut versorgt. Es gibt einen Investitionsstau in Milliardenhöhe“, beschreibt Uwe Pfeiffle die Situation. Die korrekte Umsetzung von Hygienemaßnahmen belaste die Mitarbeiter bei der angespannten Personalsituation zusätzlich. Dazu müsse man sich nur einmal die Dimensionen vor Auge führen. Hochgerechnet auf einen Arbeitstag sind allein 30 Minuten für die gewissenhafte Händedesinfektion nötig. „Ein bisschen Geld würde einiges bewirken“, bestätigt Stephan Rapp – will das Thema resistente Keime aber nicht dramatisieren: „Es mag sein, dass die Zahl resistenter Keime zunimmt. Aber wir stehen nicht vor einer Lawine, die sich unaufhaltsam auf uns zu wälzt.“