Druckartikel: Trauer nach tödlichem Biss

Trauer nach tödlichem Biss


Autor: Robert Wagner

Mainstockheim, Montag, 22. Februar 2016

Mehrere Hunde kämpfen, einer von ihnen stirbt. Das wirft Fragen auf. Haben sich die Beteiligten richtig verhalten? Lassen sich sich solche tragischen Ereignisse überhaupt verhindern?
Die erst wenige Monate alte Xenia wurde mehrmals in den Bauch gebissen und starb.


Kyra hat den Verlust immer noch nicht überwunden. Früher sei sie so offen gewesen, erzählt Martina Beier. „Heute reagiert sie bei fremden Hunden meist aggressiv.“ Die Mainstockheimerin geht deswegen seit einiger Zeit wieder mit Kyra zur Hundeschule. Trauerarbeit sozusagen. Kyra hat ihre Spielkameradin verloren. Die „kleine Xenia“ ist tot.

Wie es dazu kam, da unterscheiden sich die Erzählungen – je nachdem, wen man fragt. Sicher ist: Bereits im November vergangenen Jahres war Martina Beier mit zwei Bekannten und insgesamt fünf Hunden zwischen Mainstockheim und Buchbrunn unterwegs. Neben Kyra hatte Beier auch ihre „neue Liebe“ Xenia dabei. Wenige Monate alt und erst seit fünf Wochen jüngstes Familienmitglied im Hause Beier.

Auf dem Weg trafen sie Herrn Müller (Name von der Redaktion geändert) aus Buchbrunn. Er führte Franco mit sich. Doch schon bei der Frage, was Franco überhaupt für ein Hund ist, scheiden sich die Geister. „Ein Kangal“, sagt Beier. „Ganz sicher kein Kangal“, erklärt Frau Müller. Allenfalls habe Franco einige Kangal-Einflüsse, sagt sie. Schließlich sei er ein Mischling aus der Türkei – da könne man das nicht ausschließen. Ihr Mann wolle lieber nichts dazu sagen, das würde ihn zu sehr aufregen, erklärt Frau Müller.

Das Treffen endete tragisch. „Im ersten Moment dachte ich, die spielen“, erzählt Beier. Was wirklich passierte ist unklar. Haben die fremden Hunde zuerst Franco und sein Herrchen bedrängt? Hat Franco ohne Grund die kleine Xenia gepackt und in die Weinberge gezerrt? Wenig später liegt Xenia jedenfalls bewegungslos da. „Zerschreddert“, sagt Beier. „Unglücklich“, nennt Frau Müller die Verletzungen. Einige Stunden später wird der junge Hund vom Tierarzt eingeschläfert. Der Magen völlig durchlöchert, jede Hilfe kam zu spät. Als Martina Beier Xenia begräbt, sitzt Kyra jaulend daneben. Dann versucht sie ihre junge Spielkameradin wieder auszugraben.

„Streitereien und Probleme kommen immer wieder vor.“
Hermann Queck, Bürgermeister in Buchbrunn

Noch Wochen später sind die beiden Frauen sichtlich betroffen, wenn sie von den Erlebnissen erzählen – so unterschiedlich ihre Erzählungen auch sind, zumindest das eint sie. „Der Hund ist gefährlich“, meint Beier. Ein Wesenstest sei doch das Mindeste. „Mein Hund ist kein Beißer“, sagt hingegen Frau Müller. Franco sei gut erzogen. Und überhaupt: Der Franco sei schon mehrmals von fremden Hunden angegangen und gebissen worden.

Streit wegen Hunden – das kennen sie in den Nachbargemeinden zu genüge. „Es ist eine unendliche Geschichte“, sagt Karl-Dieter Fuchs, Bürgermeister von Mainstockheim. Er klingt dabei fast resigniert. Erst letzte Woche habe es eine Gerichtsverhandlung zwischen zwei Hundebesitzern gegeben. Und auch Hermann Queck, Amtskollege aus Buchbrunn, bestätigt: „Streitereien und Probleme kommen immer wieder vor.“

Dabei haben die Gemeinden klare Regelungen, was das Halten und Führen von Hunden betrifft. „Die Regeln reichen im Prinzip aus“, sagt Fuchs und Kollege Queck stimmt zu. In den Satzungen ist aufgelistet, welche Hunde wo angeleint werden müssen. Das betrifft viele Rassen wie Rottweiler oder Pit-Bull und deren Mischlinge. Außerdem alle großen Hunde mit einer Schulterhöhe über 50 Zentimetern. Allein: Es fehlen die Kontrollmöglichkeiten.

Die Gemeinden seien bei bestimmten Sachverhalten relativ machtlos. Wer weist beispielsweise nach, dass ein Mischling auch von einem „American Bulldog“ abstammt? Wer belegt, dass Franco tatsächlich ein Kangal-Mischling ist? Außerdem fehle bei den Bürgern oft der Wille, bei der Aufklärung mitzuhelfen. „Es wird sich viel beschwert, aber viele machen später einen Rückzieher“, erzählt Fuchs. Das Thema ist schwierig. Lösungen schwer zu finden. Verpflichtende Tests oder Schulungen bedeuten zusätzlichen bürokratischen und ökonomischen Aufwand. Eine Leinenpflicht ist kaum durchzusetzen – gerade außerhalb der Ortschaften. Und außerdem: Will man das überhaupt? „Hunde sind Lebewesen, denen auch eine gewisse Freiheit zusteht“, sagt Bürgermeister Queck.

Tierärztin Anja Gold unterstützt grundsätzlich verpflichtende Ausbildungen für Hunde und Hundehalter. Und das nicht nur bei „Problemkindern“. Gold ist Expertin für Hundeverhalten und hat selbst seit vielen Jahren einen Herdenschutzhund, wie es auch Kangals sind. Herdenschutzhunde sind sehr wachsam in ihrem Revier – außerhalb halten sie sich gegenüber anderen Hunden eher zurück. „Sie sind leicht versnobt“, erklärt die Ärztin.

Diese Hunde – wie alle Hunde – seien nicht grundsätzlich aggressiv. Allerdings hätten sie eine lange Erziehungsphase nötig. Vielen Haltern fehle dafür die Geduld. „Das ist einer der Gründe, warum Herdenschutzhunde häufig im Tierheim landen.“

Gold erklärt, dass Hunde andere Hunde eigentlich nicht totbeißen. Im vorliegenden Fall könnte der Jagdinstinkt eine Rolle gespielt haben. Größere Hunde wie Franco könnten kleinere mit einer Beute verwechseln. Diese Gefahr sei um so höher, wenn es sich bei dem Hund um einen ehemaligen Straßenhund handelte, wie es bei Franco der Fall ist. Jedoch: Sie kenne weder Hund noch Halter, erklärt die Expertin. Eine Ferndiagnose sei deswegen schwierig – ein Wesenstest aber sinnvoll. Eine verpflichtende Prüfung aller Hunde hält sie hingegen für nicht praktikabel.

Eine Einschätzung, die auch Fuchs und Queck teilen. Der Mainstockheimer Bürgermeister berichtet von einem Fall, bei dem die Gemeinde einen solchen Test veranlasst hat: „Am Ende stellte sich raus, dass der Hund angeblich nicht gefährlich war. Trotzdem hat es aber Vorfälle mit dem Hund gegeben.“

Queck und Fuchs, Beier und Frau Müller – sie alle unterstützen die Idee einer besseren Erziehung von Hunden und auch eine verpflichtende Ausbildung für Halter. Dafür müssten jedoch die politischen Grundlagen geschaffen werden.

Allein: Xenia hätte auch das nicht gerettet. Beide Frauen behaupten, ihre Hunde seien gut geschult, alle beteiligten Menschen seien erfahren im Umgang mit Hunden. „Es gibt, wie bei den Zweibeinern auch, bei den Vierbeinern einfach Typen, die sich nicht ausstehen können“, sagt Fuchs etwas ratlos. Egal welche Regeln eingeführt werden – solche Vorfälle komplett zu verhindern, sei einfach nicht möglich. „Gegenseitige Rücksichtnahme“ wünscht sich deshalb Queck. Wenn im November alle Betroffenen ihre Hunde rechtzeitig angeleint hätten, dann wäre Xenia wohl noch am Leben.