LANDKREIS KT/ SCHWARZENAU

„Tierwohl lohnt sich“

Zu wenig Platz, Krankheiten, Kannibalismus im Stall, Antibiotikum im Fleisch: Fleischkonsum und Tierhaltung sind zu viel diskutierten Themen geworden – sicher auch durch zahlreiche Negativschlagzeilen. Solche Nachrichten soll es künftig nicht mehr geben. Denn es hat sich ein branchenübergreifendes und flächendeckendes Bündnis gebildet, das für bessere Lebensbedingungen von Nutztieren wie Schweinen und Geflügel zusammenarbeitet: die „Initiative Tierwohl“.
Küss' die Hand: Wenn Otto Schwemmer in den Stall kommt, ist er sofort von den jungen Schweine umringt. Sie wissen: Er bringt ihnen was zum Spielen, in diesem Fall einen Sack voll Stroh. Und ein paar Streicheleinheiten fallen auch noch ab. Foto: Fotos: Diana Fuchs
+1 Bild
}

Zu wenig Platz, Krankheiten, Kannibalismus im Stall, Antibiotikum im Fleisch: Fleischkonsum und Tierhaltung sind zu viel diskutierten Themen geworden – sicher auch durch zahlreiche Negativschlagzeilen. Solche Nachrichten soll es künftig nicht mehr geben. Denn es hat sich ein branchenübergreifendes und flächendeckendes Bündnis gebildet, das für bessere Lebensbedingungen von Nutztieren wie Schweinen und Geflügel zusammenarbeitet: die „Initiative Tierwohl“.

Für Dr. Peter Lindner ist das ein großer Schritt in der Entwicklung der Nutztierhaltung. Der Leiter des Lehr-, Versuchs- und Fachzentrums für Schweinehaltung in Schwarzenau (eine Einrichtung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft) sagt: „Damit geht ein Ruck durch die gesamte Produktionskette – von den Tierhaltern bis hin zum Einzelhandel!“ Erkenntnisse aus den vielen Schwarzenauer Versuchen zum Tierwohl würden in die Praxis umgesetzt.

In der Vergangenheit, noch bis vor fünf, zehn Jahren, sei vor allem Wert auf Technik und Produktionssteigerung gelegt und weniger das Tier als solches gesehen worden. „Das hat sich in jüngster Zeit stark verändert. Das Tierwohl ist sehr wichtig geworden – den Verbrauchern und den Erzeugern gleichermaßen.“

Mit der „Initiative Tierwohl“ ist erstmalig in Deutschland ein Bündnis von Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel entstanden. Am 1. Januar 2015 hat die Initiative ihre operative Arbeit aufgenommen. Die Bündnispartner wollen der erhöhten Nachfrage nach tiergerecht und nachhaltig erzeugten Produkten Rechnung tragen; zugleich wollen sie Missständen vorbeugen und das Vertrauen der Verbraucher in ihre Produkte stärken.

Die Initiative formuliert ihr Ziel so: Die Standards in der konventionellen Schweine- und Geflügelhaltung in Deutschland sollen verbessert werden, und zwar „aktiv, flächendeckend und Schritt für Schritt“. Bis 2017 sollen dafür 255 Millionen Euro aufgewendet werden, also 85 Millionen Euro pro Jahr.

„Ich hoffe, dass daraus eine Massenbewegung wird.“
Dr. Peter Lindner

Schon seit dem 1. Januar 2015 zahlen die teilnehmenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels – darunter Aldi, Lidl, Edeka, Kaufland, Penny, Real, Rewe, Netto – für jedes gekaufte Kilo Fleisch vier Cent in den Tierwohlfonds ein. Aus diesem Fonds werden die Landwirte vergütet, die zusätzliche Tierwohlmaßnahmen umsetzen. Diese „Wohlfühl-Kriterien“ hat ein Bündnis aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Tierschutzorganisationen entwickelt. „Sie gehen teils deutlich über gesetzliche Regelungen hinaus“, stellt Dr. Lindner fest. Landwirte, die bestimmte Grundanforderungen erfüllen (Stallklima- und Tränkewasser-Check) und freiwillige Zusatzmaßnahmen umsetzen – zum Beispiel für mehr Platz sorgen, Raufutter oder Nistmaterial zur Verfügung stellen –, erhalten unabhängig vom Marktpreis einen Tierwohlzuschuss.

In der Praxis kann dies so aussehen: Wenn ein Schweinemäster seinen Tieren zehn Prozent mehr Platz gibt, als gesetzlich gefordert, erhält er pro Schlachtschwein 2,80 Euro als Vergütung. Gewährt er ihnen ständigen Zugang zu Raufutter, gibt es zwei Euro. Zusätzlich gibt es Wahlkriterien: Für Scheuermöglichkeiten und Auslauf gibt es beispielsweise einen Euro extra, für 20 beziehungsweise 40 Prozent mehr Platzangebot werden dem Landwirt vier beziehungsweise acht Euro je Tier bezahlt.

Landwirte, die sich der Initiative anschließen möchten, können sich bis Ende April über eine Koordinierungsstelle (so genannte Bündler) anmelden. Ab Mai (Schwein) und Juli 2015 (Geflügel) beginnen unabhängige Kontrolleure, die Tierwohlmaßnahmen bei den Landwirten zu überprüfen, sodass Fleisch- und Wurstwaren aus Tierwohlbetrieben im Sommer (Schwein) beziehungsweise Herbst (Geflügel) auf den Markt kommen werden.

Ein Problem gibt es freilich: Das Geld wird wohl nicht für alle Betriebe reichen, die mitmachen möchten. Dr. Lindner schätzt, dass zunächst wohl nur ein Viertel der rund 6000 bayerischen Betriebe mitmachen kann. Das ist für ihn aber nicht der ausschlaggebende Punkt. „Wichtig ist, dass nun der Grundstein dafür gelegt ist, Tierwohl und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen.“ Nun gelte es, das Programm „mit Herz und Verstand weiter zu entwickeln“. Lindner hofft, dass daraus eine Massenbewegung wird und der Verbraucher die Anstrengungen der Tierhalter honoriert.

Auch diejenigen Tierhalter, die aktuell nicht in das Programm kommen können – weil sie etwa bauliche Voraussetzungen oder die Qualitätskriterien des Tränkewassers nicht erfüllen – sollen langfristig mit ins Boot genommen werden und Verbesserungen einführen. „Es ist im Interesse der ganzen Fleischerzeuger-Branche, das Image aufzubessern. Die Bereitschaft, dem Tierwohl einen höheren Stellenwert einzuräumen, ist flächendeckend da.“

Auch die Schlachthöfe sind Bündnispartner. Künftig werden Schlachtbefunde – etwa der Zustand von Lunge, Leber und Nieren – zentral erfasst und ausgewertet. Dies lässt Rückschlüsse auf das Tierwohl zu und soll der weiteren Verbesserung der Stallverhältnisse dienen, erklärt Otto Schwemmer, Fachlehrer im Lehr-, Versuchs- und Fachzentrum für Scheinehaltung in Schwarzenau. Schwemmer ist seit langem mit der „Initiative Tierwohl“ vertraut. Er hat mitgeholfen, die Tierwohl-Kriterien auszuarbeiten und bildet so genannte „Klima- und Wasser-Checker“ aus. Das sind Gutachter, die überprüfen, ob Betriebe die grundlegenden Zugangsvoraussetzungen für die „Initiative Tierwohl“ erfüllen.

Otto Schwemmer und Dr. Peter Lindner sind zuversichtlich, dass das neue, breit aufgestellte Bündnis Erfolg hat: „Dadurch zeigt sich: Tierwohl lohnt sich – für alle.“

Wirtschaftlich und tiergerecht – ein Widerspruch?

Tagung: Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), Lehr-, Versuchs-und Fachzentrum für Schweinehaltung (LVFZ) Schwarzenau, lädt am morgigen Mittwoch, 25. Februar, von 9.30 bis 16 Uhr zur Schweinefachtagung ins Haus der Gemeinschaft Schwarzenau ein: „Wirtschaftliche und tiergerechte Schweinehaltung – ein Widerspruch?“.

Referate: Sabine Ohm von der Tierschützerorganisation „Provieh“ stellt ab 9.45 Uhr die Initiative für Tierwohl aus Tierschützersicht vor. Ab 10.30 Uhr spricht Christian Hoffmann (Landwirtschaftliche Qualitätssicherung Bayern GmbH) unter anderem über die Teilnahmebedingungen. Der „Stallklima-Check“ ist ab 11.30 Uhr das Thema von Dr. Stefan Neser (LfL). Nach der Mittagspause geht es mit Dr. Anja Rostalski (Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., „Tränkewasser“), Dr. Christina Jais (LfL, „Tierwohlkriterien – Wirkung und Umsetzung“) und dem bundesweit bekannten Marktexperten Dr. Albert Hortmann-Scholten („EU-Schweinemarktentwicklung 2020“) weiter. Diskussionen über die Beiträge sind ausdrücklich erwünscht.

Anmeldung: Es ist keine Anmeldung erforderlich. *LDK*