Doch anders als bei Krebs oder Herzinfarkten, seien Depressionen für Außenstehende schwer zu begreifen. Ines weiß das aus erster Hand. Sie ist eine der Nicht-Betroffenen, die dieses Jahr bei der Mut-Tour mitfahren. „Mein Ex-Freund litt an einer Depression.“ Er habe es nicht einsehen wollen, habe sich nicht helfen lassen. Für Ines war es schwer, mit der Situation umzugehen. „In Tiefphasen können Depressive sehr schwierig sein“, weiß Bastian. Sie neigen dazu, zu klammern, den Partner und Freunde zu vereinnahmen. Irgendwann könnten dann auch die Angehörigen nicht mehr, die Situation werde unerträglich. Damit es nicht dazu kommt, hat Bastian einen Tipp: Als Angehöriger müsse man sich manchmal auch abgrenzen. Das Wichtigste sei aber: „Alle sollten offen miteinander reden.“
Doch das mit der Offenheit ist so eine Sache. Das weiß auch Herbert. Schon als Jugendlicher hatte er Depressionen. Fünf Geschwister, die Eltern getrennt, die Mutter alkoholkrank. Herbert musste sich schon früh um alles kümmern. Unter immensen Druck quälte er sich durch Schule und Studium. „Ich weiß heute nicht, wie ich das geschafft habe.“
Dann hatte er fast 40 Jahre Ruhe. Es ging ihm gut, bis im Privatleben wieder Probleme aufkamen. „Jede Kleinigkeit, jedes falsche Wort warf mich aus der Bahn“, erzählt Herbert. Dann saß er vor dem Haus, spürte Leere und Schwärze um sich herum, „wie in einem Tunnel“. Sein Blick schweifte umher. „Ich hab nur überlegt: An welchem Baum häng ich mich auf?“ Solche Gedanken und Gefühle zu teilen, sei schwierig. Auch wegen Reaktionen, die oft nicht weiterhelfen, ja sogar schaden können.
Da gibt es jene, die bagatellisieren: „Das schaffst du schon“, hören die Betroffenen oft. „Reiß dich mal zusammen“, oder „Tritt dir mal in den Arsch“, sind weniger freundliche Varianten dieses Spruches. Auch heute noch würden psychische Krankheiten von vielen Menschen nicht ernst genommen. Sebastian Burger erinnert sich an ein Interview mit einer Journalistin. Die habe Depressionen mit „ernsten“ und „richtigen“ Krankheiten verglichen. Als sei Depression keine ernsthafte Erkrankung.
Auf der anderen Seite stehen jene Menschen, die die Krankheit überhöhen. Oft sind das die Arbeitgeber. „Als ich meinem Chef gesagt habe, dass ich Depressionen habe, sind ihm die Gesichtszüge entglitten“, erzählt Herbert. Was kannst du dann überhaupt noch arbeiten, habe sein Vorgesetzter zunächst erschrocken gefragt. Heute macht Herbert den gleichen Job wie vor der Erkrankung, arbeitet weiter in einer Führungsposition.
Doch leider laufe es nicht immer so. Unwissenheit führe dazu, dass Depressionserfahrene für manche Arbeitgeber ein rotes Tuch sind. Das könne schon dazu führen, dass befristete Verträge nicht verlängert oder ein Auszubildender nicht übernommen werde.
Sebastian Burger und seine Mitfahrer wollen das ändern. Das erfordere allerdings Mut. Mut, als Betroffener offen mit seiner Krankheit umzugehen. Mut, als Nicht-Betroffener auf Erkrankte zuzugehen. Und Mut der Gesellschaft, den Betroffenen weiter etwas zuzutrauen und sie nicht anders zu behandeln. Dafür sprechen sie täglich mit dutzenden Leuten. Und dafür strampeln sie sich weiter täglich ab.
Weitere Informationen
Die Mut–Tour fährt vom 4.6. bis zum 3.9. quer durch Deutschland. Alle Interessierten sind eingeladen, einige Kilometer mit den Teilnehmern mitzufahren und ins Gespräch zu kommen.
Für die Etappen 6 (Berlin-Kiel) und 7 (Kiel-Bremen) werden noch Mitfahrer gesucht.
Weitere Infos zur Tour, einen Strecken- und Zeitplan sowie Infos zu Depressionen unter: www.mut-tour.de
Anlaufstellen in Kitzingen:
Selbsthilfe- und Helfergruppen im Landratsamt, Kaiserstraße 4, lra@kitzingen.de, Tel. (0 93 21) 92 80 Selbsthilfegruppe Depression, Schleifweg 24, Tel.Tel.(0 93 21) 9 26 99 01,
Sozialpsy. Dienst, spdi@kvwuerzburg.brk.de, Tel. (0 93 21) 2 27 10
Anlaufstellen in Volkach:
„Der Weg zurück ins Leben“, Sonnenstraße 6, info@dieser-weg-zurueck.de, Tel. (0 93 81) 71 74 01.
Kommentar
Wenn die Seele bricht
Fast jeder hat sich in seinem Leben schon einmal einen Knochen gebrochen. Und selbst jene, denen dieses Unglück bisher erspart geblieben ist, können sich vorstellen, was es heißt, nicht laufen oder seinen Arm nicht bewegen zu können.
Doch was ist, wenn nicht der Knochen, sondern die Seele bricht?
Psychische Krankheiten sind für Außenstehende so schwer zu verstehen, weil sie irrational sind. Wenn das Bein bricht, dann tut es weh. Der Schmerz hat einen Sinn: Er sagt dem Kopf, da stimmt was nicht, belaste das Bein nicht, trete nicht auf! Und so bleibt man liegen.
Bei Depressionen gibt es das nicht. Der Betroffene bleibt liegen, obwohl er doch aufstehen könnte. Es gibt keinen „objektiven“ Grund, beziehungsweise muss es ihn nicht geben. Und so ist man versucht, zu rufen: „Nun steh doch auf.“ Doch Verletzungen der Seele, die Außenstehende nicht sehen und nicht verstehen können, schmerzen den Betroffenen nicht weniger als ein gebrochener Fuß.
Im Gegenteil: Der kaputte Fuß stört beim Laufen, die Hände kann man derweil noch sehr gut benutzen. Doch bei Depressionen scheint plötzlich nichts mehr zu gehen.
Betroffene beschreiben immer wieder eine abgrundtiefe Leere und Schwere, die alles Denken und Handeln unmöglich macht.
Von vielen Menschen wird das als Schwäche ausgelegt. Deshalb ist irgendwann der Begriff „Burnout“ entstanden. Der Fokus wird so von der vermeintlichen Schwäche auf die Leistung vorher verschoben: Man hat in kurzer Zeit alles gegeben, deshalb ist man jetzt ausgebrannt. Bezeichnenderweise wurde der Begriff Burnout zunächst bei Karrieremenschen benutzt. Gerade sie durften ja keine Schwäche zeigen.
Doch eine Depression ist eben kein Zeichen dauerhafter Schwäche. Depressionen können jeden treffen – so wie sich auch jeder mal ein Bein brechen kann. Doch sie können eben auch wieder verheilen. Mit der richtigen Behandlung kann die Seele genauso stark werden wie vorher. Vielleicht sogar stärker – so wie der gebrochene Knochen.