Flüchtlingshilfe: Not, Tod und Menschlichkeit
Autor: Robert Wagner
, Montag, 18. April 2016
Christian Ludwig war als Helfer in europäischen Flüchtlingslagern unterwegs. Auf einer griechischen Insel versuchte er vergeblich einen zweijährigen Jungen wiederzubeleben. Er sah viel Not und erfuhr doch viel Herzlichkeit. Am 20. April berichtet er in Würzburg von seinen Erlebnissen.
Christian Ludwig hält sich die Hände vors Gesicht, streicht sich über die Augen, als könne er so die Erinnerungen abstreifen. Zwecklos. „Diesen Schrei werde ich nie vergessen.“ Der Ton sei schlimmer als die Bilder. „So schrill, so tief aus ihrem Herzen.“ „Bashal“, schreit die Mutter. Ihr zweijähriger Sohn liegt tot vor ihr. Mitten in der Nacht. Am Hafen Ermioni auf der griechischen Insel Chios.
Es sind Erinnerungen wie diese, die den freiwilligen Helfer noch heute beschäftigen. Nicht immer, aber manchmal packen sie ihn. Aus dem Nichts. Wie vor ein paar Tagen, als er abends in Würzburg unterwegs war: Wochenlang konnte er sich nicht an das Gesicht des Jungen erinnern, den er in jener Nacht im Februar vergeblich versucht hatte zu reanimieren. „Plötzlich hab? ich ihn vor mir gesehen.“
Der 23-jährige Mitbegründer der Initiative „Mobile Flüchtlingshilfe“ will solche Erfahrungen teilen. Aber auch ganz andere Geschichten: Wie jene von dem syrischen Mädchen, das mitten in der Nacht, durchnässt und mit blauen Lippen, eine kleine Ewigkeit ein Klatschspiel mit ihm spielte – und dabei so herzlich lachte, dass man die ganze Not drumherum kurz vergessen konnte.
Oder von den Flüchtlingen im französischen Calais, die aus Planen und Brettern eine provisorische Kirche bauten. Es ist diese Mischung aus grenzenlosem Leid und tiefer Menschlichkeit und Herzlichkeit, die Ludwig das Gefühl gibt, etwas Wichtiges zu tun. „Immer mal wieder sagen Menschen zu mir, ich solle doch jetzt mal an meine Zukunft denken und was Richtiges machen“, erzählt der ausgebildete Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger.
„Doch wenn das nicht richtig ist, was ist es dann?“
Dabei ist er eher zufällig in die Flüchtlingshilfe gerutscht. Am Anfang, im Herbst 2015, stand eine fixe Idee. Eine Freundin fragte ihn damals, ob sie nicht gemeinsam helfen wollen. Aus dem Nichts stampften die beiden einen Hilfstransport aus dem Boden. Die Strecke musste geplant, Transporter organisiert, Spenden gesammelt werden. Was wird vor Ort gebraucht, welche Versicherungen und Papiere sind nötig? Bis es das erste Mal losging, hatte die „Mobile Flüchtlingshilfe“ einige Krisen zu überwinden. „Wir hatten schon Punkte, an denen wir dachten: Lassen wir?s? Sagen wir alles ab?“ Schließlich fuhren sie am 22. November doch los. Mit vier Transportern und elf Freiwilligen.
Die Fahrt führte über ein Transit-Camp im slowenischen Dobova nach Slavonski Brod in Kroatien, bis ins serbische Dimitrovgrad. „Ohne die ehrenamtlichen Helfer würde an vielen Orten wenig laufen“, sagt Ludwig. Kleiderspenden, Essensausgabe, medizinische Erstversorgung – überall sind es die „Volunteers“, die den Flüchtlingen helfen. Und etwas Wärme in den kalten, oft grausamen Fluchtalltag bringen.