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Gefährliches Netz: Schüler für Schüler


Autor: Robert Wagner

Iphofen, Mittwoch, 27. Juli 2016

Das Internet ist für Kinder Verlockung und Gefahr zugleich. Medienscouts sollen helfen. Mit Kommentar.
Die zukünftigen Medienscouts sollen den jüngeren Klassen Wissen über die digitale Technik vermitteln. Klar, dass sie sich dann auch selbst dafür interessieren.


Es wird gelacht und auch mal geflucht. „Das funktioniert nicht! Der blöde Computer hängt sich ständig auf“, ruft ein Mädchen. Die zukünftigen „Medienscouts“ sollen bald ihren jüngeren Schulkameraden im Landkreis Kitzingen den richtigen Umgang mit den sozialen Medien beibringen. Im Moment haben die Schülerinnen und Schüler der siebten und achten Klassen aber selbst mit der Technik zu kämpfen. Auch die „Digital natives“ (digitalen Ureinwohner) müssen den Umgang mit den neuen Medien erst einmal lernen.

Im ersten von insgesamt drei Projekttagen erstellen die Jugendlichen in Gruppen Fotostorys, in denen sie Probleme im Umgang mit Whatsapp, Facebook und Co. darstellen. Sie machen Fotos von sich, schreiben Sprechblasen dazu. Das Ziel: Zeigen, wie schnell das tolle Internet zum Problem werden kann. Ihre eigenen Erfahrungen sollen dabei einfließen. Das mache es authentischer. „Peer-Group-Education“ heißt der sperrige wissenschaftliche Begriff dafür – die Erziehung durch Gleichaltrige mit gleichen Interessen.

Die Idee ist einfach, wie Monika Hartig-Klein erklärt. Anderen Kindern werde eher vertraut, sie sprechen die selbe Sprache wie ihre Schulkameraden. Und wenn sie vor Gefahren warnen, dann hat das mehr Gewicht, als wenn die „Alten“ mit dem erhobenen Zeigefinger mahnen. Noch dazu kommt, dass Lehrer und Eltern oftmals selbst mit der modernen Technik überfordert sind.

„Es ist Fakt, dass die sozialen Medien Teil der Schulen und später der Arbeit sind“, betont Hartig-Klein. Die Schulpsychologin ist eine der Initiatorinnen des Projekts im Landkreis. „Wir wollen das deshalb nicht verteufeln, wir wollen aufklären.“ Und wer könnte das besser, als andere Jugendliche, die selbst schon Erfahrungen gesammelt haben?

Viele Probleme im Internet entstehen durch die unglaubliche Eigendynamik des Netzes, erklärt Lambert Zumbrägel, Medienfachberater beim Bezirksjugendring Unterfranken. Welch fatale Auswirkungen ein Post haben kann, wie leicht Mobbing in der digitalen Welt fällt und wie schnell ein „Shitstorm“ losgetreten werden kann, das ist auch für Erwachsene oft überraschend. Gerade jüngeren Kindern fehle das Abstraktionsvermögen, um die „erschlagende Wirkung“ des Netzes zu begreifen.

Zumbrägel verdeutlicht das an einem Beispiel: Wenn jeder Schüler etwa 200 Freunde hat und jemand bei einem geposteten Foto einstellt, dass es auch von Freunden von Freunden gesehen werden kann – wie viele Menschen sehen dann das Foto? „Die meisten Kinder antworten 400.“ Es sind aber bis zu 40000. „Schon diese Zahl ist riesig: Denn wer kann sich 40000 Menschen an einem Ort vorstellen?“ In Wahrheit können im Netz schnell mal hunderttausende Klicks zusammenkommen.

Sollte man da wirklich jedes Foto von sich teilen? „Jugendliche sollten nur Bilder posten, die sie auch ohne Zögern in der Schule oder am Bahnhof aufhängen würden“, sagt Jugendarbeiter Zumbrägel. Der Vergleich zeigt, wie absurd sich manche Menschen im Netz verhalten: Wer würde schon freiwillig ein Foto von sich am Marktplatz aufhängen, auf dem er einen Schmollmund macht? Doch für die Jugendlichen ist die digitale Selbstinszenierung Alltag und unumstößliche Realität. „Die Kamera ist für die Kinder heute ein wichtiges Instrument geworden.“ Über Fotos definieren sie sich.

Die Jugendlichen seien dabei nicht einmal unbedingt sorglos oder unreflektiert. „Die Kinder stehen oft vor einem Dilemma“, erklärt Zumbrägel.

Kann man sich den sozialen Medien verschließen, wenn alle Freunde dort aktiv sind? Und was nützen alternative Netzwerke, die die Privatsphäre besser schützen, wenn dort sonst niemand aktiv ist? „Sie wählen dann oft das kleinere Übel – wie die Erwachsenen bei der Bundestagswahl“, sagt der Medienfachberater und lacht. So seien die Jugendlichen bis zu einem gewissen Grad „gezwungen“, Facebook, Whatsapp und Instagram zu nutzen – weil es eben jeder macht.

Im ersten Moment hört sich das sehr negativ und düster an. Doch Lambert Zumbrägel und Monika Hartig-Klein betonen auch die positiven Seiten. „Unser Ziel ist es nicht, Angst zu machen. Denn wer Angst hat, der macht Fehler.“ Vielmehr bietet die moderne Technik auch viele Möglichkeiten sich zu entfalten und zu entwickeln. Man muss eben nur wissen, wie.

Gerade deshalb sei das Medienscout-Programm so wichtig. Bei der Auswahl der neuen „Medienscouts“ haben die Lehrer um Hartig-Klein versucht, Schüler zu gewinnen, die einen gewissen Stand in der Klasse und Schule haben. Das scheint zu funktionieren: Bevor die Idee auf Landkreisebene umgesetzt wurde, haben schon zwei Schulen Medienscouts ausgebildet: Die Dr. Karlheinz-Spielmann-Mittelschule in Iphofen und die Nikolaus-Fey-Mittelschule in Wiesentheid. Die Erfahrungen sind positiv. „Die Schüler gehen auch von alleine auf die Scouts zu“, erzählt Hartig-Klein. Die Jüngeren erkundigen sich bei den Älteren. Und noch etwas haben die Lehrer gemerkt: „Wir erfahren so schneller von Mobbing-Fällen.“ Der Gang zum Mitschüler fällt leichter als zu den Erwachsenen. Und für so eine wichtige Aufgabe lohnt es sich doch, sich auch mal mit der Technik rumzuschlagen, oder?

 



Kommentar Wie der Ochs vorm IPhone

Wenn man über die Straße geht, soll man nach links und rechts schauen. Das galt schon zu jenen Zeiten, als statt PS-Boliden tatsächlich noch Pferdekutschen über die Straßen donnerten. Das wird auch noch in der Zukunft gelten, wenn selbstfahrende Elektroautos die Rußschleudern von heute verdrängt haben. Und so werden die Kinder von heute ihren Kindern in der Zukunft das selbe sagen, was sie von ihren Eltern gelernt haben: Wenn du über die Straße gehst, schau' vorher nach links und nach rechts.

Solche Weisheiten gibt es zuhauf: Dinge die sich auch in hundert Jahren nicht verändern. Fass die Herdplatte nicht an, die ist heiß. Ess den bunten Pilz nicht, der ist giftig. Bei diesen Themen haben es Eltern leicht. Doch was ist, wenn man Kindern den Umgang mit etwas beibringen soll, von dem man selbst keine Ahnung hat?
Der technische Fortschritt ist mittlerweile so schnell, dass nur die wenigsten Menschen mit ihm Schritt halten können. Doch die junge Generation wächst mit der neuen High-Tech wie selbstverständlich auf. Ein Auge für die damit verbundenen Gefahren haben jedoch zu wenige Jugendliche. Und die Alten können nur schlecht mahnen.

Klar. Es fehlt ihnen häufig schon die richtige Sprache, um mit ihren Kids richtig zu reden. Kein Kind würde die Warnung vorm Verkehr ernst nehmen, wenn die Uroma sagt: „Pass auf, von links kommt eine komische Kutsche!“ Und genauso wenig nehmen Kinder heute die Warnung vor „dem Internet“ von Menschen ernst, die weder den Unterschied zwischen Facebook, Instagram und Whatsapp kennen, noch jenen zwischen Apple und Microsoft. Wer zum Surfen im Netz noch immer den Internet Explorer benutzt, hat sich in den Augen der Jugend schon per se disqualifiziert.

Genau deswegen ist es wichtig, dass junge Leute einander helfen. Dass sie sich untereinander Tipps und Ratschläge geben und die Älteren die Jüngeren bei den ersten Online-Schritten unterstützen. In Zukunft wird das noch wichtiger werden. Denn die technische Entwicklung wird sich weiter beschleunigen. Und kein Mensch kann sich heute überhaupt vorstellen, was für Geräte unsere Kinder einmal ihren Kindern erklären müssen.