Mit Waffen gegen die Angst?
Autor: Robert Wagner
Kitzingen, Dienstag, 19. Januar 2016
Viele Menschen haben Angst - sie decken sich mit Pfefferspray und Gaspistolen ein. Der Absatz steigt rapide, Lieferengpässe drohen. Doch die Polizei warnt. Mehr dazu im Artikel - mit einem Kommentar von Robert Wagner.
So etwas hat sie in 26 Jahren noch nicht erlebt. Am 1. Januar 1990 übernahmen Gabriele Melber und ihr Mann Christian die seit 1911 bestehende Büchsenmacherei Waffen-Mahl in Kitzingen. Seitdem richtet sich ihr Angebot vor allem an Jäger und Sportschützen. „Zur Zeit fragt aber jeder zweite Kunde nach Tränengas oder Pfefferspray“, sagt sie.
Nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln habe die Nachfrage noch einmal zugenommen – dabei sei sie schon das ganze Jahr 2015 sehr hoch gewesen. Mittlerweile gibt es Probleme beim Nachschub vom Hersteller. „Die schaffen schon rund um die Uhr.“ Bei einem großen Onlinehändler rangierten am gestrigen Dienstag acht Abwehrsprays unter den Top 20 im Bereich „Sport und Freizeit“ – fast alle von ihnen waren ausverkauft.
Die Menschen in Deutschland verspüren scheinbar ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Das zeigt sich auch beim Thema kleine Waffenscheine: Die erlauben das Führen von bestimmten Schreckschuss- und Reizstoffwaffen. Im Jahr 2015 wurden 65 kleine Waffenscheine beim Landratsamt ausgestellt. 2014 waren es nur 31, im Jahr zuvor gar nur 22. Allein in den ersten zwei Wochen im neuen Jahr wurden bereits 20 Scheine beantragt. Auch Melber bestätigt: „Die Nachfrage nach Schreckschusswaffen steigt.“
Das ist eine Entwicklung, die die Polizei Unterfranken nicht gut heißen kann und will. In einer Pressemitteilung des Präsidiums heißt es: „Mit Blick auf das unverändert hohe Niveau der allgemeinen Sicherheitslage [.
..] ist es nach Ansicht der Polizei nicht notwendig, sich in irgendeiner Art und Weise zu bewaffnen.“ Der stellvertretende Chef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, bestätigt diese Einschätzung: „Offenbar gibt es in der Bevölkerung ein gesunkenes Sicherheitsgefühl und den Eindruck, man müsse seinen Schutz selbst in die Hand nehmen. Das kann schnell Züge von Selbstjustiz annehmen. Ich halte das für gefährlich.“ Deshalb warnt die Polizei vor einer Bewaffnung – und liefert zwei Argumente:
Einerseits bestehe das Risiko, dass die mitgeführte Waffe bei fehlender Schulung gegen einen selbst eingesetzt wird. Andererseits mache man sich bei leichtfertigem Einsatz der Waffen selbst strafbar. Denn ungefährlich sind die Gaswaffen nicht. „Unter einer Entfernung von einem Meter sollte man wirklich nicht schießen“, sagt auch Gabriele Melber. Auch Pfeffersprays sind nicht für den Einsatz gegen Menschen gedacht. Sie sind nur zu Tierabwehr zugelassen. Eine Tatsache, die die meisten Käufer beflissentlich zu ignorieren scheinen. Bei besagtem Onlinehändler werden jedenfalls eifrig die Vor- und Nachteile im Einsatz gegen Menschen kommentiert und diskutiert. Selbst die Hersteller werben damit: Auf der Verpackung für ein Tierabwehrspray ist ein Mann zu sehen, dem ins Gesicht gesprüht wird.