Mit Erdsäcken gegen den Taifun
Autor: Robert Wagner
Fröhstockheim, Mittwoch, 07. Oktober 2015
Der Schlamm schlängelt sich träge zwischen dem Schutt. Steine, Wellblech und Plastikmüll türmen sich zwischen den Palmen. Fast alle Bäume sind vom Wind auf etwa zwei Meter Höhe abgeknickt worden. So weit das Auge reicht – auf der Insel Calicoan wurde in der Nacht auf den 9. November 2013 alles zerstört.
In jener Nacht verloren nicht nur tausende Menschen ihr Leben – der Wirbelsturm „Yolanda“ raubte den Überlebenden auch ihre Lebensgrundlage. Denn den Windgeschwindigkeiten von bis zu 380 km/h konnte kaum etwas trotzen. „Das Land war wie abrasiert“, sagt der 51-jährige Norbert Gresser.
Der Leiter der Sozialstation MediCare in Fröhstockheim erzählt von den unglaublichen Schäden, die er wenige Tage nach dem Jahrhundertsturm mit seiner philippinischen Frau Mary Ann (49) in deren Heimatort Ngolos vorgefunden hat. Mit schnellen, kurzen Sätzen beschreibt er das Ausmaß der Zerstörung.
Er und seine Frau waren die ersten Helfer vor Ort. Während die großen internationalen Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder das UNHCR noch Vorbereitungen trafen, waren die Beiden schon mit mehreren Kilo Medikamenten bei den Betroffenen.
„Die sind gekommen, als wir wieder gegangen sind“ erzählt Gresser.
Norbert Gresser behandelte auf Calicoan fast alles, von abgerissenen Fingern über Infektionen bis hin zu Augenverletzungen. Jetzt, fast zwei Jahre später, treffen er und seine Frau vor Ort immer wieder Menschen, denen sie damals geholfen haben. Während die großen Organisationen schon in andere Krisenregionen weitergezogen sind, fliegen Gresser und seine Frau weiter jedes Jahr in die Region, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Im Januar 2014 haben sie mit Helfern eine provisorische Schule errichtet. Fast 300 Tonnen Baumaterial haben sie damals mit einem kleinen Transporter in dutzenden Fahrten nach Calicoan gekarrt.
Ihr nächstes Projekt startete im August 2015 – und ist nun abgeschlossen. Um die Menschen vor künftigen Stürmen zu schützen, sollte vor Ort ein Windschutz entstehen. Sicher und gleichzeitig kostengünstig sollte er sein. Mary Ann Gresser stieß bei ihren Recherchen auf eine Bautechnik, die in den letzten Jahren in verschiedenen Pilotprojekten erfolgreich eingesetzt wurde: „Earthbag-Building“ – zu deutsch „Bauen mit Erdsäcken“. Mit leicht verfügbaren Materialien können so stabile Unterkünfte gebaut werden.
Dazu wird ein Gemisch aus Erde, Ton und Kies in Reissäcke gefüllt. Durch Regen und Hitze wird das Material fest zusammengebacken. „Hart wie Beton“ sind die etwa 50 Kilo schweren Säcke am Ende, erzählt Mary Ann. Aus ihnen hat sie zusammen mit einheimischen Arbeitern einen knapp sieben Meter breiten und über drei Meter hohen Rundbau errichtet, der ein bisschen an ein Iglu erinnert. Dieser Eindruck wird durch den weißen Anstrich noch verstärkt.
Mehr als 7000 Euro hat der Bau gekostet. 1800 Reissäcke wurden verbaut. Bis zu 50 Menschen sollen hier bei Sturm Schutz finden. Das ist viel für so ein Gebäude – und doch viel zu wenig für die rund 2000 Einwohner im Dorf.