Meinungskampf auf der Straße
Autor: Robert Wagner
Kitzingen, Freitag, 07. Oktober 2016
An einem Laternenmast prangert ein Aufkleber das Patriarchat und den Populismus an. Mit viel Mühe hat ihn jemand bis zur Unleserlichkeit zerkratzt. Unweit davon klebt ein anderer Sticker. Ganz in Rot und Schwarz gehalten, wirbt er für eine rechtsradikale Gruppierung.
Von den Meisten unbemerkt, findet mitten unter uns ein kleiner Krieg statt. Ein Kampf der Meinungen. Ausgetragen mit bunten Stickern und Aufklebern, angebracht an Straßenschildern, Masten und Dachrinnen. Vor allem zwischen Rechten und Linken wird der Meinungskampf ausgefochten. „Ein Herz für Deutschland“ hier, „Refugees Welcome“ dort. Dazwischen immer wieder Aufforderungen zum christlichen Leben: „Eile, rette dich zu Jesus!“
Ein bisschen erinnern die bunten Sticker an Facebook-Kommentare und gepostete Bildchen. Sie sind die analogen Varianten der oft pauschalen, stark vereinfachenden Posts in den Social-Media Kanälen. Beziehungsweise andersherum: Die Kommentare im Internet folgen der selben Logik wie die viel älteren Aufkleber: Möglichst bunt und ausgefallen muss es sein, damit man zwischen den vielen anderen überhaupt wahrgenommen wird.
Die Aufkleber werben nicht nur für politische Überzeugungen, sondern auch für Firmen, für Bands und Konzerte. Manche schreien den Betrachter geradezu an: „Stop TTIP!“ Andere verstecken ihre Aussage hinter bunten Schriftzeichen – oder haben einfach überhaupt keine. Es gibt Witziges, Skurriles und Bewegendes zu sehen. Wie jener selbgebastelte Sticker am Kitzinger Bahnhof, auf dem ein Unbekannter die Zufallsbekanntschaft aus einem Zug sucht: „Du hast mich verzaubert.“
Diese Art der Kommunikation ist prinzipiell verboten, betont Frank Winterstein, Leiter des Sachgebiets Sicherheit und Ordnung in der Stadt Kitzingen. Das Anbringen von Aufklebern sei Sachbeschädigung, an Schildern könne es außerdem als Behinderung des Straßenverkehrs gewertet werden. Doch die Verfolgung ist fast unmöglich, man müsse die Täter auf frischer Tat fassen.
Gezielt entfernt würden die klebrigen Meinungsbildchen nur dann, wenn sie wirklich stören. Meistens würden sie von selbst abfallen, irgendwann.
An fast jedem Straßenmast in Kitzingen sieht man Reste alter Sticker. Von der Sonne ausgeblichen oder von Unbekannten halb abgekratzt. Ihre Aussage ist für immer verschwunden. Was bleibt ist ein hässlicher Kleberest, an dem sich Straßenstaub festsetzt. Bis er mit neuem Sticker überklebt wird. Fotos: Robert Wagner