Komplex, subtil, faszinierend: Kitzinger feiern Oliver Kienles Thriller "Die Vierhändige"
Dieter Luthardt saß ganz vorne. Er hatte sich ein Ticket in Reihe 2 gekauft. Die Gefahr, beim Filmschauen im Kinosaal Genickschmerzen zu bekommen, nahm er in Kauf. Hauptsache, er konnte seinen ehemaligen Schüler und dessen Werk ganz nah erleben. Lehrer Luthardt, der einst die Theatergruppe des Armin-Knab-Gymnasiums Kitzingen geleitet hat, war nur einer der Wegbegleiter „von früher“, die am Mittwochabend Oliver Kienles Präsentation des Thrillers „Die Vierhändige“ im Cineworld erleben wollten.
Großes Hallo im Foyer des Kino-Komplexes: Umarmungen und freundschaftliches Schulterklopfen, dazwischen lockeres Geplauder und Gelächter schaffen eine Atmosphäre wie beim Klassentreffen. Autor und Regisseur Oliver Kienle, 35, der aus Kitzingen stammt und hier seine ersten Filmerfahrungen gesammelt hat, stand inmitten einstiger Schulkameraden und Freunde, von denen nicht wenige irgendwann feststellten: „Auch wenn er meistens in Berlin lebt und großes Kino macht: Er is' wie früher!“ Einige haben Oliver Kienle tatkräftig unterstützt, als er zu Schulzeiten nicht nur Filmkritiken für die „KITZINGER“ schrieb, sondern auch seine ersten Videos drehte. „Ich war bei allen Low-Budget-Produktionen dabei“, erinnert sich Toby Pitzki grinsend an Filmprojekte wie „Inkubation“ oder „Einmal Krieg und zurück“. Pitzki kennt Oliver Kienle schon seit der Grundschulzeit. „Über mich hat er seine erste Filmkamera gekriegt, eine Sony-Digi-Cam.“ Schon immer sei „der Oli“ zielstrebig gewesen. „Er hat ins Hausaufgabenheft kleine Szenen reingemalt.“ Filme machen sei sein Traum gewesen. „Und dass er das jetzt professionell macht, das ist schon echt sehr cooler Scheiß!“
Sowohl als Tatort-Regisseur als auch für sein Langfilm-Debut, das Jugend- und Freundschaftsdrama „Bis aufs Blut“ hat Oliver Kienle Lob und Preise erhalten. In beiden Produktionen haben Freunde aus der Region Kitzingen/ Würzburg mitgespielt. Anfang dieses Jahres bekam der 35-Jährige für den Mafia-Thriller „Auf kurze Distanz“, den er mitverfasst hat, die Goldene Kamera. Am kommenden Donnerstag nun startet der Psycho-Thriller „Die Vierhändige“ offiziell in den deutschen Kinos. Im Dettelbacher Cineworld hat der Film am Mittwochabend schon anhaltenden Applaus geerntet.
Als Autor und Regisseur erzählt Kienle die Geschichte der Schwestern Jessica (Friederike Becht) und Sophie (Frida-Lovisa Hamann), die in ihrer Kindheit Zeugen des Mordes an ihren Eltern werden. Die Ältere, Jessica, leidet auch als Erwachsene noch unter Wahnvorstellungen. Sophie dagegen will endlich ihr Leben leben, frei von Ängsten. Sie will Pianistin werden, sich verlieben... Als die Täter von damals nach 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden, bahnt Jessicas Angst sich einen unheilvollen Weg. Es kommt zu einem Unfall, der alles ändert. Eine der Schwestern stirbt. Oder ist sie gar nicht wirklich tot? Das Ende der extrem fesselnden, komplexen und subtilen Geschichte ist überraschend und bringt die Zuschauer noch tagelang zum Nachdenken. Bis zuletzt sind beide Schwestern präsent, wie zwei Seiten einer Münze – auch für den Assistenzarzt (Christoph Letkowski), der sich in eine der beiden verliebt.
Zur Sogwirkung des Films trägt eine geniale Sound- und Musikuntermalung bei, verbunden mit schnellen Schnitten und überraschenden Perspektiven in einer vorwiegend düsteren Atmosphäre. Die Kamera ist, bis auf die Luftaufnahmen des Schwestern-Hauses, immer ganz nah dran an den Gesichtern und Aktionen.
„Kino auf höchstem Niveau“
„Das ist Kino auf höchstem Niveau!“ Toby Pitzki ist nach dem Film völlig beeindruckt. „Sound, Stimmung, Schnitt – das hat der Oli drauf.“ Auch seine Frau Nadine ist fasziniert. „Das ist kein typisch deutscher Film, sondern erinnert mich eher an alte Psycho-Thriller aus Frankreich.“
Unter den Gästen, die noch vor dem Kinosaal stehen bleiben und über den Film sprechen, ist auch Oliver Kienles Schwester Merle: „Ich bin geflashed! Was mein mutiger kleiner Bruder geschafft hat – unglaublich.“