Druckartikel: Schülervideo gegen Rassismus: Gesicht zeigen

Schülervideo gegen Rassismus: Gesicht zeigen


Autor: Robert Wagner

Kitzingen, Dienstag, 01. März 2016

In der Anonymität des Netzes brodelt der Hass. Schüler diskutieren beim Jugendkreistag über Online-Rassismus. Die Schüler des Egbert-Gymnasiums Münsterschwarzach haben ein Video zum Thema gedreht. Lesen Sie dazu auch einen Kommentar.
Mit versteckten Gesicht hetzen sie  – und bekommen dafür noch „likes“: Die Schüler stellen Online-Rassismus dar.


Auf einem Foto sind dutzende Patronen zu sehen. Darüber steht ein Satz: „Ich habe für jeden Flüchtling eine Kugel.“ Ein Facebookkommentar zu Flüchtlingen, die im letzten Jahr tot in einem Lkw gefunden wurden, lautet: „50 Klumpen Syrisches Gammelfleisch.“

Insgesamt sieben Schulen haben den Jugendkreistag genutzt, um auf das Thema Online-Rassismus aufmerksam zu machen. Eine von ihnen ist das Egbert-Gymnasium Münsterschwarzach. Die Schüler der 10c haben extra einen eigenen Film gedreht:

Vor blauem Hintergrund stehen mehrere Menschen. Sie halten sich schwarze Pappstreifen vor die Augen, bedrohen ein Mädchen, das alleine vor ihnen steht. Aus dem Off hört man ihre Stimmen: „Einen Hammer, ein Stein, ins Arbeitslager rein“. Sie werden vertrieben, doch schon kurz danach sind wieder neue da. Der tägliche Kampf gegen Rassismus im Internet. Am Ende stehen die Schüler vor der Kamera. Ohne schwarzen Streifen zeigen sie Gesicht, Gesicht gegen Rassismus.

Auch die Schüler der anderen Schulen haben sich einiges ausgedacht, um in ihren Vorträgen auf die Gefahren des Rassismus bei Facebook und Co hinzuweisen. Mit einer Bildershow wollen die Schüler der Staatlichen Berufsschulen Kitzingen-Ochsenfurt verdeutlichen, wie schnell aus digitaler Hetze reale Gewalt wird. Fotos von rassistischen Chats folgen Bilder eines brennenden Molotowcocktails.

Die Schülerinnen der Mädchen-Realschule Volkach verteilen Schaumküsse an Landrätin Tamara Bischof und die anderen Gäste. „Von außen sehen sie alle anders aus, aber innen sind sie alle gleich“, sagt eine Schülerin. Auch das ist eine Möglichkeit, auf rassistische Vorurteile hinzuweisen.

Keine Frage, das Thema Rassismus im Internet ist aktueller denn je. „Wenn man im Internet ein bisschen aufmerksam ist, findet man Rassismus überall“, sagt Aaron, Klassensprecher der 10c des Egbert-Gymnasiums. „Bei uns gibt es das zum Glück nicht“, fügt seine Klassensprecherkollegin Julia hinzu.

Dass dem so ist, liegt laut den Schülern auch an dem direkten Kontakt, den sie mit Flüchtlingen haben. Seit Anfang des Jahres nehmen immer wieder Flüchtlinge an ihrem Unterricht teil. „Leute, die solche Dinge posten, haben sicher noch nie selbst Kontakt zu Flüchtlingen gehabt“, ist sich Aaron sicher. Sie hätten hingegen den jungen Flüchtlingen zugehört, sich vom Grauen des Krieges in Syrien und den Gefahren der Flucht erzählen lassen. Das verändert.
 


Zitat:

„Solche Leute haben sicher noch nie
selbst Kontakt zu Flüchtlingen gehabt.“
Aaron, Klasse 10c

Auch der Geschichts- und Sozialkundelehrer Martin Pohl, der mit den Schüler gemeinsam das Filmprojekt umsetzte, bestätigt: „Die Klasse ist für das Thema sehr sensibilisiert.“ Wegen der Nähe zur Abtei Münsterschwarzach sei das Thema Flüchtlinge sehr wichtig in der Schule. Als sich die Schulleitung dazu entschloss, Flüchtlinge in den Unterricht aufzunehmen, habe es erst einmal einige besorgte Nachfragen gegeben – allerdings von Seiten der Eltern. Mittlerweile haben sich auch diese Sorgen verflüchtigt. „Für uns sind die Flüchtlinge eine Bereicherung“, sagt Aaron.

Am Egbert-Gymnasium habe man bisher keine Probleme mit Onlinerassismus gehabt. „Allerdings gab es vereinzelt Mobbing über Facebook“, sagt Pohl. Deswegen hat die Schule eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, an die sich die Betroffenen wenden können.

Doch was kann man tun, wenn man im Internet auf rassistische und menschenverachtende Kommentare stößt? Lehrer Pohl erzählt, wie sie in der Klasse versucht haben, einen Kommentar von Facebook sperren zu lassen. „Bisher ist nichts passiert“, sagt Pohl. Trotzdem: „Ich klicke jetzt schneller auf Melden als früher“, sagt Julia. Schließlich geht es auch darum, Gesicht zu zeigen.

Trotz der Schwierigkeiten: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, wie Joachim Schinzel von der Polizeiinspektion Kitzingen betont. Aus digitalem Hass könne schnell reale Gewalt werden. Die scheinbare Anonymität schütze nicht vor Strafe. Und es gibt einiges, was den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Immer wieder müsse man sich mit hasserfüllten Kommentaren im Internet beschäftigen, erzählt der Polizist.

Am Ende des Jugendkreistages ist die Botschaft klar: Die Jugendlichen wollen nicht mit Hetze und Rassismus in Verbindung gebracht werden. Sie wollen ein Statement gegen Rechts setzen.

Bei der Frage, wie das gelingen kann, ist man sich jedoch unsicher. Die Anträge bleiben schwammig. Vorträge und Bereitstellung von Informationsmaterial und die Mitarbeit an Initiativen werden gefordert. Alles indirekte Wege, um Rassismus im Keim zu ersticken.

Stefan Lutz-Simon, Landeskoordinator der Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ fordert deshalb auch persönliches Engagement der Schüler: „Wir wollen euch die Chance geben, euch selbst zu vernetzen, gemeinsam zu arbeiten.“ Dazu bedarf es aber eines eigenen Antriebs, keiner von oben auferlegten Politik. Letztlich liege es in den Händen jedes Einzelnen.

Zumindest die Jugendlichen, die an diesem Tag im großen Sitzungssaal des Landratsamtes zusammengekommen sind, scheinen das Thema Online-Rassismus sehr ernst zu nehmen: „Die Menschen sollten die Augen aufmachen und nicht einfach wegschauen“, fordert Aaron.

Kommentar "Recht freier Raum"

Schmähkritik ist juristisch relevant. Volksverhetzung erst recht. In den sozialen Netzwerken läuft beides gerne unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung und nennt sich dann neumodisch „Shitstorm“. Schön und gut.

Aber vieles davon bleibt auch unter neuem Namen das, was es schon früher war – die deutsche Übersetzung hilft: Ein „Sturm aus Scheiße“.

Sich öffentlich zu äußern, für eine Meinung einzustehen – das war früher schwierig, in manchen Zeiten sogar gefährlich. Das Internet hat heute die Hemmschwelle auf ein bedrohliches Niveau gesenkt. Jeder kann schnell und bequem seine Meinung sagen. Die Ironie der Geschichte ist dabei, dass es genau diese Menschen sind, die ständig von Zensur sprechen. Und das solange, wie sich ihre Aussagen noch gerade so mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung vereinbaren lassen. Von Zensur keine Spur. „Das wird man ja noch sagen dürfen.“

Die Gefahr des Internets ist dabei seine Vielseitigkeit. Es gibt so unbeschreiblich viel Informationen im Netz, dass es ohne weiteres möglich ist, sich nur einseitig und unreflektiert zu informieren. Man kann an einem Tag hunderte Quellen finden, für jede noch so haltlose Behauptung.

Umso wichtiger ist es, dass Kinder und Jugendliche auf die Chancen und Probleme des Internets vorbereitet werden. Und dass man ihnen den Platz gibt, sich selbst darauf vorzubereiten. Es ist wichtig, dass die junge Generation lernt, Gesicht zu zeigen. Sich nicht hinter der Anonymität des Netzes zu verstecken, sondern offen zu diskutieren und zu streiten.

Es ist wichtig, dass sie lernen Grenzen aufzuzeigen: All jenen, die glauben sie wären in der Mehrheit – nur weil sie am lautesten schreien. Die Grenzen sind immer dann überschritten, wenn Menschen herabgesetzt und verunglimpft werden. Denn auch wenn das Internet ein recht freier Raum ist, so ist er keineswegs rechtsfrei.