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Frei in der Manege


Autor: Robert Wagner

Kitzingen, Donnerstag, 04. August 2016

Kaum jemand geht im Moment die Mainbernheimer Straße in Kitzingen entlang, ohne wenigstens kurz in die Mozartstraße zu spähen. Der Zirkus Solero macht dort Station. Die Besitzer, die Familie Renz, erzählen, wie es ist, ständig unterwegs zu sein.
Gemeinsam kümmern sich die Geschwister Keanu und Jolina um die Tiere. Beim Zirkus Solero fassen alle mit an.


Kinder bleiben stehen, strecken ihre Hände in Richtung der Kamele. Erwachsene lugen zwischen die Wägen. Kaum einer geht im Moment die Mainbernheimer Straße in Kitzingen entlang, ohne wenigstens kurz in die Mozartstraße zu spähen.

Dort hat der Zirkus Solero seine Zelte aufgeschlagen. Ein Festzelt, mehrere Wohnwagen und Lkw, ein Stall, in dem neben Kamelen Pferde, Ziegen und Ponys leben. Gerne hätten sie sich noch etwas weiter ausgebreitet, sagt die 63-jährige Gabriela Renz. Doch es werde immer schwieriger, in den Städten und Gemeinden gute Stellplätze zu bekommen. So wie in Kitzingen: Der Platz auf den Bleichwasen existiert seit dem Umbau im Zuge der Landesgartenschau nicht mehr. So mussten sie eben an die Mozartstraße ausweichen.

Jolina und Keanu, zwei Enkel von Gabriela Renz, verteilen Brot und Äpfel an die Kamele. Eine Kitzingerin hatte vorher eine Tüte vorbeigebracht und sich die Tiere angesehen. „Ich habe selbst viele Tiere“, hatte sie erzählt, während sie ein Pony streichelte. „Wir freuen uns, wenn die Menschen hier vorbeikommen“, sagt Gabriela Renz. Nicht nur zu den Vorstellungen, auch einfach so. Denn sie weiß, dass das Image der Zirkusse gelitten hat. „Der Zirkus ist das älteste Vergnügungsangebot der Welt“, sagt sie. Doch seine Bedeutung geht in der Moderne zurück.

Von Seiten der Tierschützer gibt es immer wieder Kritik an der Tierhaltung. Das kann Renz nicht nachvollziehen kann. „Wir leben mit und von den Tieren.“ Sie könnten es sich gar nicht leisten, die Tiere schlecht zu behandeln. „Sonst würden sie uns doch in der Manege weglaufen.“ Im Gegenteil: Für die Dressur müsse man die Tiere genau kennen und verstehen.

Susanne Weber bestätigt den guten Zustand der Tiere. Die Amtstierärztin vom Veterinäramt hatte sich am Morgen im Zirkus umgeschaut. „Die Tiere sehen gut aus, die Pfleger geben sich Mühe“, sagt Weber. Regelmäßig erfolgen solche Prüfungen. Auch Weber hat in ihrer Zeit im Veterinäramt schon einige Zirkusse erlebt. Zeichen von Tierquälerei habe sie jedoch noch nie gesehen. Kleinere Probleme gebe es aber schon manchmal – doch die kommen auch bei der privaten Haltung von Pferden, Hunden und Katzen vor. Zirkusse ständen aber unter genauerer Beobachtung durch die Öffentlichkeit.

„Für uns gehören die Tiere zur Familie“, erklärt Gabriela Renz. Und für die Familie tut man alles. Drei Generationen fahren beim Zirkus Solero mit. Jeder tut das, was er kann. Auch die Kleinen, wie die sechsjährige Jolina. „Die wachsen da rein“, sagt die Großmutter des Mädchens. Am Anfang nur im Spiel, dann entwickeln sie ihre eigenen Nummern, spezialisieren sich. Akrobatik, Westernshow, Auftritte als Clown – es gibt viele Möglichkeiten.

„Die Kinder können später natürlich auch etwas ganz anderes machen“, sagt Mutter Corina Renz. Doch fast alle bleiben im Zirkusgeschäft.

So wie die Geschwister von Gabriela Renz. Sie sind mit anderen Zirkussen in Europa unterwegs, in den Niederlanden, in Österreich oder in Ungarn. Auch die Mutter der 63-Jährigen fährt noch mit. „Wir kümmern uns um einander“, sagt Gabriela Renz stolz. Die Alten in ein Heim abschieben? Das sei bei ihnen undenkbar. Manchmal ist Gabriela Renz auch mit Zirkussen anderer Familienmitglieder unterwegs. Zeit für Besuche sei aber eigentlich eher im Winter, wenn die Familien in der vorstellungsfreien Zeit ihr Lager aufbauen. „Meine Eltern haben manchmal noch fünf Monate Pause gemacht“, erzählt die 63-Jährige. Heute könne man sich das kaum noch leisten. Im Sommer gibt es breite Konkurrenz durch Feste und Veranstaltungen. Frühjahr und Herbst werden deshalb immer wichtiger.

Das Leben im Zirkus ist anders. Ständig ist die Familie an einem anderen Ort. Baut das Zelt auf, wirbt für die Vorstellungen, tritt auf und zieht weiter. Von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter. Das hat viel mit Freiheit zu tun, ist aber auch anstrengend. Es ist ein ganz anderer Lebensentwurf, als er heute typisch ist. Auch das führe dazu, dass so wenige Kinder, die im Zirkus aufwachsen, später etwas anderes machen, meint Corina Renz. Ein Leben an einem festen Ort ist für sie nicht nur ungewohnt, sondern kaum vorstellbar.

Kein fester Wohnsitz bedeutet auch keine feste Schule. Früher sei das noch ein Problem gewesen, erzählt Gabriela Renz. Heute aber nicht mehr. Die kleine Jolina kommt demnächst in die Schule. Wenn sie länger an einem Ort ist, geht sie dann mit Bruder Keanu und der großen Schwester Alysia in die örtliche Schule. Ansonsten werden die Kinder regelmäßig von privaten Lehrern unterrichtet. Das sei gar nicht so schlecht, sagt Alysia: „Da lernt man viel mehr.

“ Schließlich könnten Lehrer bei nur drei Schülern viel besser auf Stärken und Schwächen eingehen, als bei Klassen von 20 bis 30 Kindern.

Aber hat man dann überhaupt Freunde? „Ja“, sagen die Kinder. Aber vielleicht anders, als andere Kinder. „Wir lernen schon früh, dass Freundschaften auch nur kurz bestehen können“, sagt Gabriela Renz. Wenn man den Arbeits- oder Studienort wechselt, verliere man sich ja auch manchmal aus den Augen. „Bei uns geht das nur eben manchmal schneller.“ Trotzdem: Wenn sie mal wieder in der Nähe ist, treffe sie schon immer wieder Freundinnen von früher, erzählt Alysia. Zwar habe sie auch schon Vorurteile erlebt, „viele sind aber wirklich begeistert, wenn ich erzähle, dass ich im Zirkus lebe.“

Kein Wunder: Mit den Tieren spielen, draußen herum toben, Kunststücke üben und immer wieder neues erleben – welches Kind träumt nicht davon? Und auch wenn sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Ein Leben im Zirkus – das klingt doch irgendwie nach Freiheit, oder?

Termine und Karten

Spielzeit: Von Freitag, 5. August, bis Sonntag, 14. August, gastiert der Circus Solero in der Mozartstraße in Kitzingen an der B8, nahe des E-Centers. Premiere ist am Freitag, 5. August, um 17 Uhr. Am Sonntag ist Familientag, an dem die Vorstellung um 14 Uhr auch für Erwachsene nur Kinderpreise kostet. Ansonsten starten die Vorstellungen (außer Dienstag) um 17 Uhr. Karten und Infos gibt es unter Tel. (0 15 77) 3 39 32 65 sowie an der Zirkuskasse.