Fluchtgeschichten in Schwarzach
Autor: Robert Wagner
, Dienstag, 22. Dezember 2015
Folter, Krankheit, Tod. Sechs Jugendliche aus Eritrea erzählen.
Es ist kurz vor Weihnachten im Benediktinerkloster Münsterschwarzach. Zeit der Besinnung. Zeit der Familie. Zeit der gemeinsamen Geschichten. Neben Mihretab und Filimon sitzen noch Dawit, Mussie, Teklit und Abdussalam (alle 17) um den runden Esstisch in der gemütlichen Stube. Sie spielen, hören Musik oder lesen. Und sie erzählen. Von den Wochen und Monaten auf der Flucht nach Europa. Von Folter, Hunger, Krankheit und Tod. Und von ihren Verwanden im fernen Eritrea.
„Viele Geschichten ähneln sich“, erklärt Heinz Sanwald, der sich im Auftrag des Landratsamtes um die unbegleiteten Minderjährigen im Kreis kümmert. Angst vor dem Militärdienst habe die meisten fortgetrieben. „Sie holen dich einfach ab, für unbestimmte Zeit“, erzählt Teklit. Man werde geschlagen, gequält, verliere jede Chance auf ein normales Leben. Ohne es mit ihren Eltern abzusprechen, machten sie sich auf, mit nicht mehr als der Kleidung an ihrem Leib.
„Man kann nichts mitnehmen. Wenn die Polizei sieht, dass man einen Rucksack dabei hat, wird man sofort eingesperrt“, erklärt Teklit.
Teklit erzählt, wie er über Äthiopien in den Sudan geflohen ist. Mit 16 anderen Jugendlichen auf einem Laster. „Der Laster hatte Betonteile geladen. Unter denen war noch etwa so viel Platz.“ Teklit hebt die Hände und hält sie etwa 30 Zentimeter auseinander. „Da haben wir eng an eng gelegen.“ Von etwa 1 Uhr Nachts bis 15 Uhr. „Wir haben keine Luft gekriegt, haben geschrien, geweint. Wir wären fast verreckt.“
Das wurde dem Fahrer zu viel. Mitten im Nirgendwo schmiss er die Flüchtlinge vom Laster und fuhr ohne sie weiter. Was folgte, ist eine lange Odyssee. Erst hielten sie einfache Bewohner auf. „Auch die haben Geld von uns erpresst“, erzählt Teklit.
Später habe sie eine Gruppe Schlepper aufgegriffen. Unterwegs wurden sie überfallen. Schüsse seien gefallen. Zusammen seien sie geflohen. Tagelang, ohne Essen. Dann habe die Schlepperbande sie eingeholt. Wieder seien Schüsse gefallen. „Wir wurden in ein Lager gebracht.“ Wie Vieh. Mehr seien sie für die Schlepper nicht gewesen.
Drei Monate saß Teklit in einem Lager an der sudanesischen Grenze fest. Schlepper erpressten Geld von seinen Verwandten. Erst dann durfte er gehen. Nachts, damit die Anwohner nichts merkten, ging es wieder mit einem Lkw los Richtung Libyen. Dann durch die Wüste, mit 30 Mann auf einem Pick-Up. „Wer runterfällt ist tot“, erzählt Teklit. „Überall liegen Leichen am Straßenrand.“ Dawit, Mussie und die anderen nicken traurig.