Erzählungen für die Nachwelt

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Alfons Knauer hat sie noch erlebt, die Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges in Dettelbach. Er kann auch noch von den Juden in der Stadt erzählen. Die Zuhörer im Pfarrheim lauschen ihm gebannt.
Foto: Ralf Dieter
Elisabeth Rost präsentiert den Zuhörern das Buch von Konrad Reinfelder, in dem auch ein Abschnitt von der Geschichte der Juden in Dettelbach handelt.
Foto: Ralf Dieter

Zeitzeugen erinnern sich in Dettelbach an die Schicksale der jüdischen Mitbürger.

Etwa 40 Personen waren da. Und sie hatten fast alle etwas zu erzählen. Elisabeth Rost vom Katholischen Frauenbund hatte zum Zeitzeugen-Café ins Pfarrheim geladen. Thema: Die jüdische Geschichte in Dettelbach.

Eine Synagoge gab es einst in Dettelbach – und eine Judenschule. Alles unter einem Dach. Bis ins Jahr 1938. Bis die Nazis die Synagoge anzündeten. Vier Jahre später wurden die verbliebenen jüdischen Mitbürger auf Karren geladen und Richtung Würzburg gefahren. Von dort ging es ins Konzentrationslager – und in den Tod.

Gleich zwei Deportationen hat es 1942 gegeben. „Wir mussten alle zuschauen, wie die Männer mit Stöcken zusammengetrieben und auf die Lkw verfrachtet wurden“, erinnert sich Ernst Dill. Junge Burschen waren sie damals – er, Alfons Knauer, Franz Then, Ludwig Nagel und Otto Stöcklein. Jetzt sitzen sie im Pfarrheim und erinnern sich an die Ereignisse, die auch in Dettelbach zu den schwärzesten Kapiteln der Geschichte gehören.

Elisabeth Rost interessiert sich für die Dettelbacher Geschichte. Noch mehr interessiert sie sich dafür, diese Geschichte und die dazugehörigen Geschichten für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Mit Zeitzeugin Käthe Plannasch war sie vor ein paar Jahren in der örtlichen Realschule. Dabei kam sie auf die Idee, die jüngere jüdische Geschichte Dettelbachs auch für einen größeren Kreis an Interessenten zu thematisieren.

Seit dem 14/15. Jahrhundert sind Juden in Dettelbach nachgewiesen. Im Jahr 1928 lebten noch 58 in der Weinstadt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte etwa die Hälfte nach England oder in die USA. Diejenigen, die blieben, sollten 1942 ins Konzentrationslager geschickt werden. Keiner ist lebend zurückgekommen.

„Vor 1938 hatten wir keine Ahnung von den antisemitischen Tendenzen im Land“, erinnert sich Franz Then. „Zu Hause ist darüber nicht gesprochen worden.“ Von einem guten Miteinander und einem freundschaftlichen Umgang zwischen den jüdischen Kindern und den katholischen beziehungsweise evangelischen berichten alle Zeitzeugen. Man habe zusammen gespielt, zusammen die Nachmittage verbracht. Die Juden waren integriert. Ernst Dill erinnert sich, dass er am Sabbat das Feuer für eine jüdische Familie geschürt hat. Er war nicht der einzige junge Bursche damals. „Fünf Mark habe ich dafür bekommen. Das war mein erstes Taschengeld.“

Dann kam das Jahr 1938. Die Synagoge, die auf dem Platz der heutigen Sparkasse stand, wurde angezündet. Die damaligen Feuerwehrkommandanten waren schnell zur Stelle, löschten das Feuer. „Zum Dank“ wurden ihnen eine Woche später von den Nazis die Fensterscheiben ihrer Privathäuser eingeworfen.

Wer noch fliehen konnte, floh spätestens jetzt. Die verbliebenen Juden mussten als Erkennungszeichen den gelben Davidstern am Ärmel tragen. Reiche Familien wie die Laubheims verloren nach und nach ihre Güter. „Die hatten einmal zehn Viehtreiber gehabt“, erinnert sich Alfons Knauer. Der Sohn der Familie Laubheim musste sich dann als Straßenkehrer verdingen, die Kanäle sauber halten. „Er ist auch nach Dachau gebracht worden“, berichtet Knauer. In der Schule hätten die Dettelbacher Jungs gefragt, warum die Juden so behandelt werden. Die Antwort des Lehrers: Sie seien für die Revolution im Ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen.

Dennoch: Klammheimlich gab es auch zwischen 1938 und 1942 Kontakt zwischen den Familien. Ernst Dill erinnert sich an einen besonderen Tauschhandel: Gans gegen Stoff. „Die Juden haben ja nur halbe Essensmarken erhalten“, berichtet er. Da hat er eine Gans, notdürftig im Stroh versteckt, in ein Judenhaus gebracht. Als Gegenleistung hat er einen Anzug genäht bekommen.

Von der einst reichen jüdischen Geschichte Dettelbachs ist nicht viel übrig geblieben. Die Gedenktafel am heutigen Sparkassengebäude, ein ausladender runder Holztisch der Familie Wiesengrund, der im Rathaus einen Ehrenplatz gefunden hat. Konrad Reinfelder schreibt in seinem Buch „Dokumentation über die Gefallenen von Dettelbach. Gelebt, Gefallen, aber nicht Vergessen“ im Anhang über die jüdische Geschichte Dettelbachs. Kreisheimatpfleger Dr. Hans Bauer hat im örtlichen Mitteilungsblatt 2007 einen Bericht veröffentlicht, der sich mit der jüdischen Vergangenheit Dettelbachs beschäftigt.

Jetzt gibt es neue Erkenntnisse und Geschichten. „Die Erinnerungen unserer Zeitzeugen sind sehr wertvoll“, sagt Elisabeth Rost. „Die jüngere Geschichte Dettelbachs bekommt durch sie ein Gesicht.“

Natürlich sollen die Erzählungen für die Nachwelt erhalten bleiben. Hermann Schliermann hat das Treffen im Pfarrheim gefilmt, Robert Ubrig will sich weiter mit der Thematik befassen. „Eventuell setzen sich die Zeitzeugen noch einmal in einer kleineren Gruppe zusammen“, sagt Elisabeth Rost. Vielleicht gibt es ja noch Bilder und Unterlagen, die gesichtet und dokumentiert werden können. Elisabeth Rost ist mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen jedenfalls zufrieden. „Es wird in Dettelbach wieder diskutiert über diese Zeit“, sagt sie. „Damit ist der Sind und Zweck meiner Arbeit schon erfüllt.“

Kontakt: Wer weitere Informationen hat, kann sich bei Elisabeth Rost vom Frauenbund unter Tel. 0151/56080956 melden.