Druckartikel: "Ein Weiter-So kann es nicht geben"

"Ein Weiter-So kann es nicht geben"


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Dienstag, 13. Sept. 2016

Sie gehören zusammen. Seit der ersten Bundestagswahl von 1949. Doch was sich in diesen Wochen zwischen der bayerischen CSU und der bundesdeutschen CDU abspielt, das hat mit Einigkeit und Schwesterliebe rein gar nichts zu tun. Der Ton wird schärfer. Und immer geht es um ein Thema: die Flüchtlingsfrage.
Bessere Zeiten: Beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Castell war das Verhältnis von CSU und CDU noch nicht belastet. Im Juli 2013 ahnte auch noch niemand, dass sich Millionen Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen würden. Dr. Otto Hünnerkopf wirft Merkel diesbezüglich eine unbeugsame Haltung vor.


„Wir haben da von Anfang an die klarere Haltung vertreten“, sagt Dr. Otto Hünnerkopf, CSU-Landtagsabgeordneter. Der Untersambacher geht davon aus, dass die CSU mit ihrer Forderung nach einer Obergrenze den Willen von mindestens 70 Prozent der Bevölkerung vertritt. Kanzlerin Angela Merkel wirft er dagegen „eine unbeugsame Haltung“ vor.

Als Landtagsabgeordneter trifft Dr. Hünnerkopf immer wieder auf Kollegen von der CDU. Die Gespräche seien oft von einem flehentlichen Ton begleitet. „Da ist schon eine Portion Verzweiflung mit im Spiel“, gibt er zu.

Noch näher dran an den Christdemokraten ist Dr. Anja Weisgerber. Als Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit stimmt sich die Schweinfurterin fast täglich mit ihren Kollegen von der CDU ab. Belastet die Flüchtlingsthematik die alltägliche Zusammenarbeit? Können die Parlamentarier überhaupt noch vernünftig miteinander reden? Oder ist das Verhältnis vergiftet? 1#googleAds#100x100

Anja Weisgerber differenziert zwischen den sachlichen Gesprächen auf Fachebene und denen in den Fraktionssitzungen. In Letzteren würden gerade die CDU-Frauen auch oft sehr emotional diskutieren. Und zwar pro Kanzlerin. „Unsere Aufgabe als CSU-Abgeordnete besteht aber darin, die Meinung aus unseren Wahlkreisen zu vertreten.“ Und die habe in der Flüchtlingsfrage kaum mehr etwas mit der Politik von Angela Merkel zu tun.

Was er in den Gesprächen mit den Bürgern zu hören bekommt, will Dr. Hünnerkopf gar nicht gefallen. „Wir können Euch nicht mehr wählen“, sagen selbst die treuesten CSU-Wähler zu ihm. „Weil wir damit Angela Merkel unterstützen würden.“ Denen, die so denken, entgegnet Dr. Hünnerkopf: „Das Gegenteil ist der Fall. Wir können die Meinung der Bevölkerung nur dann weiter vertreten, wenn wir in der Koalition ein deutliches Votum erhalten.“

Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin bezeichnet Dr. Hünnerkopf als emotionslos und wenig orientiert an den Bedürfnissen der Menschen. Sein Vorwurf: Ständig gehe es der Kanzlerin darum, ihre Position, die mit dem Satz „Wir schaffen das“ plakativ zusammengefasst wird, zu rechtfertigen. Die Mehrheit der Bevölkerung denke da ganz anders. Auch wenn die Weichenstellungen der letzten Monate – Integrationsgesetz, Schließung der Balkanroute – durchaus Erfolg gezeigt hätten.

Im August kamen laut Sozialministerium knapp 3000 Asylbewerber nach Bayern. Dennoch halten Dr. Hünnerkopf und die CSU an ihrer Forderung nach einer Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr fest. „Die Vereinbarungen mit der Türkei sind fragil“, gibt der Abgeordnete zu bedenken und warnt: Es könne jederzeit eine neue Welle von Flüchtlingen kommen.

Meldungen, nach denen die CSU nur Menschen ins Land lassen will, die einen christlichen Hintergrund haben, konkretisiert Hünnerkopf. „Diese Überlegungen beziehen sich auf Menschen, die nach Deutschland einwandern wollen und sollen. Für diese Menschen können wir die Bedingungen definieren.“ Anders sieht es bei Flüchtlingen aus. „Diese werden wir aufnehmen, weil ihr Leben durch Krieg oder religiöse Verfolgung bedroht ist.“

Dass die CSU mit dieser Haltung die AfD rechts überhole, hält der Untersambacher für einen abwegigen Gedanken. „Uns geht es darum, die berechtigten Erwartungen der Menschen an die Politik zu vertreten.“ Die CSU-Wähler hätten ein Recht auf eine verlässliche Haltung ihrer Partei.

Und was heißt das für die Zukunft der Schwesternparteien? „Ein Weiter-So kann es nicht geben“, fordert Dr. Hünnerkopf und hofft auf einen offenen und ehrlichen Austausch. „Wir müssen uns bewusst machen, dass wir zusammen eine politische Verantwortung tragen – und das gilt nicht nur für die Asylpolitik, sondern für alle politischen Felder.“ Gerade jetzt, wo sich die Parteien schon in Stellung für die nächste Bundestagswahl bringen, sei das wichtig.

Anja Weisgerber sieht darin eher eine Chance als ein Hemmnis. Ohne die SPD als Koalitionspartner in Berlin wäre die Verständigung zwischen CSU und CDU auch in den letzten Monaten schon viel leichter gelaufen. Bis auf das Thema Obergrenze hätten sich die Schwesternparteien angenähert. „Gemeinsam haben wir die angestrebte Reduzierung der Flüchtlingszahlen erreicht, vor allem aufgrund des Drucks der CSU“, erinnert Dr. Weisgerber. „Und wir wollen, dass diese Reduzierung nachhaltig gesichert wird“.

In gemeinsamen Tagungen werde jetzt der Fahrplan für die Bundestagswahl besprochen. Weisgerber ist optimistisch, dass sich die Schwesterparteien wieder verbrüdern. Auch wenn die CSU vor einer argumentativen Herausforderung steht – schließlich wünscht sich ein Teil ihrer Wähler, dass sie gemeinsam mit der CDU in den Wahlkampf zieht, während ein anderer Teil fordert, ein eigenes Profil zu entwickeln. „Ohne die SPD wird es sicherlich leichter, unsere Positionen durchzusetzen“, ist sich Weisgerber sicher und gibt die Losung aus: erst die Inhalte, dann die Personen.

Ihr CSU-Kollege Dr. Hünnerkopf kann sich trotz aller Differenzen durchaus vorstellen, dass die CSU eine weitere Kanzlerkandidatur von Angela Merkel unterstützen wird. „Natürlich bin ich maßlos enttäuscht wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsthematik. Aber eigentlich ist sie in allen anderen politischen Bereichen eine sehr besonnene Frau.“