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Wanderschäfer: Der letzte Hüter


Autor: Robert Wagner

Wiesentheid, Dienstag, 29. März 2016

Heinz Schmidt ist der einzig verbliebene Wanderschäfer im Kreis Kitzingen. Ein Beruf zwischen den Welten.
Selten gewordenes Bild: Wanderschäfer Heinz Schmidt ist der letzte seiner Art im Landkreis.


Heinz Schmidt lehnt auf seinem Stock. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, lässt er den Blick ruhig über seine Schafherde schweifen. Auf seinem langen Mantel sind noch ein paar Tropfen des letzten Regenschauers zu sehen. Zwei Hunde streifen um seine Füße. Es könnte ein Bild aus längst vergangenen Zeiten sein – wäre nicht die große Baustelle an der Rüdenhausener Straße, nur 50 Meter entfernt, und würde man nicht das monotone Rauschen der unweit auf der A3 vorbeibrausenden Autos hören.

Plötzlich klingelt es. Schmidt holt ein Handy aus den Tiefen seiner Manteltasche, spricht langsam. Noch so ein Zeichen: Hier prallen zwei Welten aufeinander. Heinz Schmidt ist Schäfer in der fünften Generation – und wahrscheinlich der Letzte. Ob seine zwölfjährige Tochter eines Tages den Familienbetrieb übernehmen wird, steht noch in den Sternen. So richtig glaubt der wettergegerbte 54-Jährige nicht daran.

Heinz Schmidt aus Brünnau nennt 500 Schafe sein Eigen. Er ist der letzte Wanderschäfer im Landkreis. Im Rest Deutschlands sieht es kaum besser aus. 1500 soll es noch ungefähr geben. Es ist ein verschwindender Beruf. Warum? „Der Lohn ist schlecht“, sagt Schmidt. Nur noch die Alten machen weiter, Nachwuchs fehlt. Wolle ist ein Nullsummen-Geschäft. Der Preis pro Kilogramm Lammfleisch liegt bei ungefähr 2,50 Euro. „Es müssten über sechs sein“, so Schmidt.

Ruhe und Einsamkeit

Bleibt die Landschaftspflege. Doch auch da gehen mögliche Flächen und Aufträge zurück. Und außerdem kann man so auch nur die Sommermonate überbrücken. Von Mai bis September treibt Schmidt seine Herde über den Truppenübungsplatz Hammelburg. Mit dabei hat er auch ein paar Ziegen: Die fressen andere Pflanzen, knabbern auch mal an Hecken. Außerdem: „Ich seh' sie gern.“

Sowieso ist die Liebe zum Beruf und zu den Tieren für Schmidt das Wichtigste. „Ich hab mit sechs Jahren schon gewusst, was ich werden will.“ Über 40 Jahre ist er schon dabei. Das geht nicht ohne Spaß am Job: Morgens muss er sich zuhause um Silo, Stall und Mist kümmern. Dann ist er zehn Stunden unterwegs. Bei Wind und Wetter. „Da hab ich meine Ruhe“, sagt Schmidt. Die Einsamkeit müsse man aber schon aushalten können.

Kein Platz für Schäfer

Seine treuen Begleiter sind die Hunde. Immer zwei – damit die Herde immer an zwei Seiten aufgehalten wird. „Rosa“ und „Funny“ sind heute mit dabei. Von alleine springen sie los, wenn sich die Schafe im Gleichschritt dem Weg oder dem benachbarten Feld nähern. „Die sind so erzogen, dass sie Fruchtfolgen erkennen“, erklärt Schmidt. So wissen die Hunde instinktiv, wo die Grenzen sind. Der Schäfer trainiert die Hunde selbst. „Sie sind das A und O. “ Nicht jeder Hund ist geeignet. „Es gibt auch Dumme und Faule“, sagt Schmidt – wie bei den Menschen auch. Man kann ein Grinsen unterm Hut erahnen. Vor allem müsse es aber passen zwischen Hund und Schäfer, fügt er an.

Bei der Frage nach der Zukunft wird Schmidt wieder ernst. „In der intensiven Landwirtschaft ist kein Platz für Schäfer“, sagt er. Die Flächen sind zu groß, zu intensiv bewirtschaftet. Es gibt kaum noch Wiesen. „Herbstweiden gibt's nicht mehr“, erklärt er. Deshalb würden die meisten Schafhalter auf Koppelhaltung umstellen. Aber: „Das passt den Tieren nicht.“

Schmidt muss es wissen: Er braucht bei seiner Arbeit ein tiefes Verständnis für die Schafe. Auch ein halber Tierarzt muss er sein. Beispielsweise wenn es bei der Geburt hakt. Ob das oft vorkommt? „Gestern erst“, sagt der Schäfer. Eine schwierige Drillingsgeburt. „Mit'm Hintern zuerst.“

Gefährlich sind auch Straßenüberquerungen. „Die Leute haben keine Zeit“, sagt Schmidt. Viel Verkehr, viele fahren zu schnell. Da ist es gar nicht so einfach, die Herde sicher über die Straße zu bringen. Nur manchmal erlebt der Schäfer es, dass sich die Menschen freuen, ihn und seine Schafe zu sehen. Für sie ist er ein seltener Anblick.

Ob der Beruf des Schäfers in Deutschland ganz verschwinden wird? „Nein“, sagt Schmidt. Vereinzelt werde es wohl noch ein paar geben, dann aber Großbetriebe mit 1000 oder 2000 Schafen. „Und vielleicht hütet dann irgendwann ein Roboter die Schafe“, sagt Schmidt.