Sollen alle Jugendlichen einen sozialen Pflichtdienst ableisten? Darüber sind sich auch die Experten im Landkreis Kitzingen nicht ganz einig.
Es ist nicht nur der Fachkräftemangel in den sozialen Berufen, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu seinem Vorschlag, eine „soziale Pflichtzeit“ für Jugendliche einzuführen, bewegt haben dürfte. Ein wichtiger Faktor ist für ihn die Arbeit an der Gemeinschaft, die es braucht, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Der Dienst müsse nicht bei der Bundeswehr verrichtet, sondern könnte „genauso bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenunterkünften geleistet werden“, sagte Steinmeier. Was sagen die Verantwortlichen im Landkreis Kitzingen dazu?
„Das BRK lebt in seinen vielfältigen Angeboten immer davon, dass sich Menschen freiwillig engagieren“, sagt Felix Wallström. Der Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes sieht die Einführung eines Pflichtdienstes zum einen als Chance, junge Menschen für die sozialen Berufe zu begeistern. Zum anderen befürchtet er aber, dass mancher Arbeitgeber dann vor der schwierigen Aufgabe stünde, auch diejenigen zu integrieren, die eigentlich kein Interesse haben.
Den Mittelweg finden
Die bestehenden Angebote wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder der Bundesfreiwilligendienst (BFD) werden beim BRK in Kitzingen bestens angenommen. „Die Freiwilligen bereichern auch Tätigkeitsfelder wie die ambulante Pflege, die Kindertagesstätten oder den Rettungsdienst.“ Er erlebe es in diesem Zusammenhang sehr oft, dass junge Menschen erst durch strukturierte Angebote mit sozialen Berufen und Aufgaben in Kontakt kommen. „Nicht selten mündet dieser Kontakt in einer Berufswahl im sozialen Bereich“, weiß Felix Wallström.
Durch die Freiwilligenagentur GemeinSinn oder auch das Angebot des Freiwilligen Engagierten Schuljahres (FESJ) würden aber nicht nur junge Erwachsene, sondern Menschen aller Altersstufen angesprochen. Und so plädiert Wallström für einen Mittelweg – und dafür, Anreize zu setzen, damit noch mehr Freiwillige diesen Weg gehen, zum Beispiel durch zusätzliche Rentenpunkte, Steuervorteile oder verbesserten Zugang zu Studien- oder Ausbildungsangeboten. Dass sich dieser Einsatz letztlich auch für jeden einzelnen lohnt, bestätigen die jungen Menschen durchweg. „Sie berichten, dass der soziale Dienst im jungen Alter einen großen Beitrag zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung geleistet und sie für ihr weiteres Leben nachhaltig geprägt habe.“
Diese Erfahrung hat auch Helmut Witt gemacht. Der Geschäftsführer und Heimleiter des Hauses für Pflege Kitzinger Land in Sickershausen denkt allerdings, dass es in vielen Fällen eines Anstoßes von außen bedarf. „Es liegt im Naturell des Menschen, dass er bequem ist.“ Er vergleicht die Freiwilligkeit, sich für soziale Zwecke einzusetzen, mit der Bereitschaft zur Organspende. „Jeder möchte gerne eine Niere oder ein Herz bekommen, wenn es nötig ist. Den Organspendeausweis haben trotzdem viel zu wenige.“ Sinnvoller wäre es, alle Menschen grundsätzlich zu möglichen Organspendern zu erklären – und im Einzelfall bewusst erklären zu lassen, warum man es nicht sein wolle.
Überhaupt wünscht er sich ein intensiveres Bewusstsein für die Bedeutung der Gemeinschaft. „Jeder möchte besonders schön sein, ein schönes Auto fahren und schöne Bilder posten“, bemängelt er die Tendenz hin zu einer ich-bezogenen Gesellschaft. „Es schadet nicht, auch einmal die andere Seite zu sehen und vielleicht ein Teil davon zu sein.“ Und sollte es Jugendliche geben, die sich zum Beispiel gegen einen Einsatz im Pflegeheim sträuben, gäbe es ja noch viele weitere Einsatzorte, um der Allgemeinheit zu dienen. „Es ist ganz bestimmt für jeden etwas dabei. Und für jeden ein Gewinn.“
Besser freiwillig
Harald Funsch, Geschäftsführer des Caritasverbandes im Landkreis Kitzingen, sieht eine „freiwillige, motivierende Überzeugung“ hingegen als die bessere Alternative zum Pflichtdienst an – und hat mit den Freiwilligendienstleistenden immer gute Erfahrungen gemacht. „Es gibt viele gute Gründe und Möglichkeiten den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu fördern und sich zu engagieren“, findet Funsch. „Ob eine Dienstpflicht wirklich der richtige Weg ist, bleibt offen.“ Besser wäre es seiner Ansicht nach, die Ableistung attraktiver zu gestalten. „Ich finde, es sollten mehr Möglichkeiten für die Anerkennung des freiwilligen Engagements bei Bewerbungen für Studienplätze oder Beruf geschaffen werden.“ Die beste Voraussetzung für ein Engagement in sozialen, ökologischen und internationalen Aufgaben bei Menschen sei schließlich vor allem die Freiwilligkeit. Wenn ein Freiwilliger gute Erfahrungen mache, werde er gerne dabei bleiben. „Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist eine Freiwilligkeit anstatt eines verpflichtenden Dienstes immer förderlicher“, sagt Harald Funsch.