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Das ist Fußball


Autor: Robert Wagner

Kirchschönbach, Dienstag, 05. Juli 2016

Zwei Bayern-Fans über ihr Leben im Zeichen des runden Leders und die Chancen auf den EM-Titel.
Zur Europameisterschaft lassen die beiden Bayern-Fans Werner Gerauer und Waldemar Lohmann auch einen BVB-Anhänger wie Redakteur Robert Wagner ins Fan-Reich.


„Das sieben zu eins“, sagt Werner Gerauer mit breitem Grinsen, „das war das geilste Spiel aller Zeiten. Das war noch unglaublicher, als der Meistertitel von Leicester in der Premier League dieses Jahr.“ Und auch Waldemar Lohmann erinnert sich gerne an 2014 zurück: „Wer hätte gedacht, dass wir ausgerechnet in Brasilien Weltmeister werden?“

Ob es auch dieses Jahr für den Titel reicht? Nach der Gruppenphase sei es schwierig – da entscheiden letztlich Kleinigkeiten. „Das Teilnehmerfeld ist immer enger geworden“, sagt Waldemar. Man denke nur an Island: Ein Land mit nur knapp 300 000 Einwohner sorgte vergangenen Montag für den zweiten „Brexit“ innerhalb von nur einer Woche.

Eine klare Meinung haben die beiden hingegen zu dem vergrößerten Teilnehmerfeld. „Mit 24 Mannschaften ist die Grenze wirklich erreicht“, sagt Werner. Irgendwann verflachen die Spiele – schon jetzt gab es in der Vorrunde den einen oder anderen müden Kick zu sehen. „Die Verbände versuchen den Hype auszunutzen“, vermutet Werner. „Immer mehr und mehr – das wird irgendwann ein Rohrkrepierer.“

Mit Waldemar und Werner lässt sich gar vortrefflich über Fußball diskutieren. Nicht ohne Grund: „Ich hab' Fußball gelebt“, sagt der 58-jährige Waldemar. Mit 42 Jahren hat er noch erste Mannschaft gespielt. Mit 53 ist er als Betreuer noch einmal aufgestiegen. „Da hab ich dann gesagt: Es sind daheim so viele Sachen liegen geblieben, ich hör auf.“ Mit 23 Jahren Verspätung, wie Waldemar schmunzelnd erklärt: „Ich hab meiner Frau bei der Hochzeit versprochen: Mit 30 Jahren ist Schluss.“ Doch irgendwann sei sie selbst mit hineingezogen wurden – und die Frage nach dem Aufhören war gar kein Thema mehr.

Ganz hat Waldemar aber natürlich auch heute nicht mit dem Fußball abgeschlossen: Als Fan ist er dem Sport treu geblieben, ist Gründungsmitglied des „FC Bayern Fanclub Höllgrund Kirchschönbach“. Und als solcher häufig in der Münchner Allianzarena und in Stadien in ganz Europa unterwegs.

Auch der drei Jahre jüngere Werner Gerauer ist im Fanclub aktiv, ebenfalls seit 1997. Momentan ist er Kassierer des Vereins. Dem aktiven Sport musste aber auch er den Rücken kehren: „Fußball war mein Leben“, sagt er. Mittlerweile machen die Knochen aber nicht mehr mit. Die vielen Jahre auf dem Bolzplatz zeigen Wirkung, schnell reißt dann mal eine Muskelfaser.

Die beiden Männer teilen deswegen eine neue Leidenschaft: Das Motorradfahren. „Zur EM sind wir ja auch in Frankreich“, sagt Werner und meint ausnahmsweise nicht ein Stadion. Sie wollen durch den Süden Frankreichs touren. Vielleicht kommen sie auf der Rückfahrt auch noch beim Teamhotel in Evian vorbei – Deutschlandtrikots nehmen sie auf jeden Fall vorsichtshalber mit.

Denn auch wenn ihr Herz vor allem für die Münchner Bayern schlägt – Deutschlandfans sind sie Beide. Waldemar erinnert sich an die WM 1970 zurück: „Damals saßen wir alle vor einem kleinen Fernseher. Als Gerd Müller in der 108. Minute das 3:2 gegen England geschossen hat, sind wir alle hochgesprungen. Als alle gleichzeitig zurückgesackt sind, ist die Couch zusammengekracht...“

Die Stimmung hat sich seitdem verändert, finden die beiden Bayern-Fans. „Früher konnte man in der Öffentlichkeit nicht stolz auf Deutschland sein. Heute, vor allem seit der Heim-WM 2006, sei das anders. Heute würden mehr Menschen mitfiebern. Auch der Anteil der Frauen, die sich für Fußball interessieren, sei größer geworden, sagt Waldemar. „Das ist doch schön so!“

Ein Dorn im Auge ist ihnen hingegen die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs. „Seit neustem werden ja auch für Trainer Ablösen bezahlt“, sagt Werner kopfschüttelnd. „Verträge zählen nichts mehr, die Ablösesummen explodieren – da müssen irgendwann Grenzen her.“

Korruption und Doping

Dass bei solchen Bedingungen auch Korruption gedeiht, sei doch selbstverständlich. „Dass man solch ein Event nicht umsonst bekommt, sollte jedem klar sein“, sagt Waldemar. Warum könne man nicht einfach offenlegen: Eine EM oder WM kostet so und so viel. „Für die Fifa-Funktionäre ist das ganze mittlerweile ein Selbstbedienungsladen“, schimpft der Kirchschönbacher. Und auch an die Mär vom sauberen Sport glauben die zwei Männer nicht. Doping? „Gibt es auf jeden Fall“, ist sicher Werner sicher. „So schnell wie der Sport heute ist, das geht ohne Mittel kaum.“ Nicht zuletzt auch die hohe Aggressivität einiger sogenannter Fans macht ihnen Sorgen. Szenen wie beim Spiel zwischen England und Russland: „Das hat mit Fan sein nix zu tun“, betont Waldemar.

Trotzdem: Es bleibt ihr Sport. Weil er so viele Menschen verbindet – Jung und Alt, Männer und Frauen aller Herren Länder. Weil man mit jedem darüber diskutieren kann, ob Podolski nur noch ein Maskottchen ist und Gomez nur das Tor trifft, wenn er angeschossen wird. Und weil es einfach immer spannend bleibt, dabei zuzuschauen, wie 22 Spieler einen Ball vor sich hertreiben. So auch am morgigen Donnerstag, um 21 Uhr, wenn Deutschland auf Gastgeber Frankreich trifft und sich entscheidet, ob die deutsche Nationalmannschaft weiter auf den EM-Titel hoffen kann.