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Besuch im Kitzinger Notwohngebiet: Nichts für Warmduscher


Autor: Diana Fuchs

Kitzingen, Montag, 19. Oktober 2015

Manche Begegnungen wühlen einen auf. Manche Gespräche lassen einen lange nicht los. Kann es wirklich sein, dass mitten unter uns Menschen wohnen, die kein warmes Wasser haben? Die kaum auf die Toilette gehen können, weil deren Sitz so niedrig ist, dass die halb gelähmten Knie sich nicht genügend abknicken lassen? Ein Besuch im Kitzinger Notwohngebiet zeigt: das ist Realität.
Ein Kreuz: Bewohner haben vielsagende Plakate ins Fenster des ehemaligen Café-Stübles gehängt.


Vor dem Haus in der Egerländer Straße hängen seit Tagen mehrere große Plakate. Auf denen stehen Sätze wie: „Wir möchten auch gerne duschen.“ Oder: „Menschenwürdige Zustände auch für Menschen wie uns.“

Telefonisch haben wir einen Ortstermin vereinbart. Zum angegebenen Zeitpunkt stehe ich allein in der Egerländer Straße. Da hinten, am nächsten Wohnblock, schleicht einer ums Haus. „Können Sie mir sagen, wo ich den Plakate-Schreiber finde?“, frage ich. „Der ist vorhin weggegangen.“ Warum? Schulterzucken. Vielleicht hat ihn plötzlich doch der Mut verlassen, sich öffentlich zu „outen“. „Und Sie?“, frage ich den Mann. „Ich habe auch keine Dusche, nicht einmal eine Herdplatte oder einen Kühlschrank.“

Karl-Heinz Gerber, so stellt es sich im Gespräch heraus, ist 49 Jahre alt, ein gebürtiger Marktbreiter. Er hat offenbar psychische Schwierigkeiten und lebt seit einigen Jahren in der Egerländer Straße 24. Seine Eltern sind tot, Geschwister hat er nicht. Warmes Essen bekommt er nur, wenn die Nachbarin ihn aus Mitleid einlädt. Warum sein Betreuer das zulässt? Karl-Heinz Gerber zuckt die abgemagerten Schultern. So sei halt der Standard „für Leute wie uns“.

In dem Moment kommt ein Mann mit Rollator um die Ecke. Er stellt sich als Philipp Sell vor, wohnt im Nachbarhaus. „Wenn Sie wollen, können Sie auch in meine Wohnung mal reinschauen“, sagt er freundlich. Gemeinsam gehen wir zur Egerländer Straße 22, der Rollator lässt sich nur mühsam über die aufgeplatzten Bodenplatten schieben.

Warum er hier wohnt? Sell räuspert sich und erzählt, dass er früher als privater Schrotthändler gearbeitet hat. Er war mehrfach verheiratet, aber nie dauerhaft. Vorsorge fürs Alter hat er nicht getroffen. Vor drei Jahren bekam er einen Schlaganfall, dann noch einen. Seitdem fällt ihm das Laufen schwer. Außerdem plagt ihn Asthma. „Wohin hätte ich sonst gehen sollen?“

Wir sind an einer Treppe angelangt, die zu einer stählernen Haustür führt. „Don't eat yellow snow“ (Esse keinen gelben Schnee) hat jemand an die Wand gepinselt. Philipp Sell stellt den Rollator neben der Treppe ab – die paar Stufen schafft er noch ohne. Zum Glück. Denn das so genannte Bad, das sich rechts hinter seiner Wohnungstür auftut, ist so winzig, dass man es mit Rollator nicht betreten könnte. Die einzigen Gegenstände in dem Kabuff, von dessen Wänden der Putz abplatzt, sind eine Toilette ohne Sitz und gegenüber ein kleines Waschbecken. Einen Boiler für Warmwasser oder gar eine Dusche gibt es nicht.

Wie er so zurechtkommt? „Bis vor einiger Zeit hat mich meine Schwester aus Rödelsee zum Baden mitgenommen“, erzählt der 68-Jährige. „Aber jetzt schaffen die Beine es nicht mehr über den Wannenrand.“ Mit 370 Euro Grundsicherung schlägt sich der Mann, dessen Jacke auch schon bessere Tage gesehen hat, durchs Leben. Ob er nicht wenigstens eine Pflegestufe beantragen kann? Sell winkt ab. „Das haben die abgelehnt.“

Weder Sell noch Gerber haben die Plakate geschrieben, dennoch teilen sie deren Aussage. Als sie sich gerade vor einem der Schilder fotografieren lassen, kommt ein junger Mann auf dem Fahrrad herangebraust. „Ich stell' mich auch mit aufs Bild. Hab' auch keine Dusche!“, ruft er.

Der Radfahrer heißt Eduard Fast und wohnt seit fünf Jahren im Notwohngebiet. Wie das sein kann? Der 32-Jährige zuckt mit den Schultern. „Hab' nicht alles richtig gemacht im Leben.“ Auf Nachfrage berichtet er, dass sein Vater gestorben ist, als er 13 Jahre alt war. „Ich habe die Schule geschmissen, keinen Abschluss gemacht, zehn Jahre lang als Möbelpacker gearbeitet, auch Abbruch und Montage.“ Angemeldet? „Schwarz.“

Derzeit ist der junge Mann arbeitslos. In seiner Wohnung gibt es nur kaltes Wasser, eine Dusche hat auch er nicht. „Das ist schon übel, wenn man sich nicht so pflegen kann, wie man möchte.“ Die beiden älteren Männer nicken. Sie sind sich einig: Wenn es zumindest Etagenduschen gäbe, wäre das schon ein Fortschritt.

Anträge helfen nicht weiter

Andrea Schmidt kennt hier so gut wie jeden – und jeder kennt sie. Seit vielen Jahren hilft die ödp-Stadträtin wo sie kann. Auch im Stadtrat hat sie schon oft die Stimme für die „Notwohner“ erhoben. So hat sie zum Beispiel schon 2012 beantragt, dass die Stadt sich im Gesamten mit sozialem Wohnraum befassen müsse. „Es gäbe sicher auch andere städtische Wohnungen als die in der Egerländer Straße 22 bis 26 und am Tannenberg 37.“ Doch bisher ist nicht viel passiert. „Man will die Leute aus dem Blickfeld halten“, mutmaßt Schmidt.

Dabei leben insgesamt rund 70 Menschen im Notwohngebiet. Etwa zwei Drittel aller Wohnungen sind belegt. „Und sie verfallen immer mehr.“ Das ist von außen schon sichtbar. Treppen, Türen und Fenster sind zum Teil defekt, verschmutzt, undicht. Kein Wunder, dass manch einer im Notwohngebiet glatt mit einem Flüchtling tauschen würde. Das findet Andrea Schmidt richtig erschreckend: „Man kann doch sozial schwache Gruppen nicht auch noch gegeneinander ausspielen.

Es wird Zeit, dass sich hier in Kitzingen endlich etwas tut.“ Philipp Sell, Karl-Heinz Gerber und Eduard Fast nicken bedächtig. „Menschen wie wir brauchen auch eine Dusche.“