Im Kitzinger Stadtrat ging es hoch her: 55 Zuhörer, davon viele aus der Siedlung, rückten den Räten buchstäblich auf die Pelle. Am Ende stand fest: Der Weg für den Umbau des Pfarrheims St. Vinzenz zum Stadtteilzentrum ist frei.
Zumindest war es nicht kalt. Die Temparatur im Kitzinger Sitzungssaal stieg sogar minütlich. Nach gut zwei Stunden rissen die Räte die Fenster auf - Abkühlung tat Not, im Hinblick auf die chaotische Beschlusslage.
55 Zuhörer, darunter sehr viele Siedler, drängten sich schon vor Beginn der Sitzung im Flur des Rathauses. Als sie nach fast halbstündiger Verspätung eingelassen wurden, mussten zusätzliche Stühle angeschleppt werden und die Gäste rückten den Stadträten wortwörtlich auf die Pelle. Vielleicht war ihre spürbare Präsenz ein Grund dafür, dass nach einer intensiven, zweistündigen Diskussion nur 13 Stadträte für den Eilantrag aus den eigenen Reihen stimmten.
Diesen Eilantrag hatten ursprünglich 17 Räte unterschrieben, wobei zwei Unterschriften noch immer nicht entziffert sind.
Die Unterzeichner wollten bewirken, dass alternative Erwerber- und Betreibermodelle für das eigentlich schon beschlossene Bürger- und Jugendzentrum in der Siedlung eruiert werden; Grund: Die Zuschüsse der Regierung fließen nicht in der erhofften Höhe, rund 300.000 Euro mehr als gedacht muss der städtische Haushalt stemmen.
Weg für das Leuchtturmprojekt ist frei
In der Sitzung lehnte nun aber die Mehrheit von just 17 Räten es ab, den Umbau des Pfarrheims St. Vinzenz zum Stadtteilzentrum Siedlung noch einmal ganz neu aufzudröseln. Damit schien der Weg für das seit über drei Jahren diskutierte Leuchtturmprojekt im Stadtentwicklungsprogramm "Soziale Stadt" also doch frei. Die Zuschauer applaudierten. Doch sie wurden von Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW) ermahnt, derartige Meinungsbezeugungen im Saal zu unterlassen.
Nur Minuten später sahen sie zum Jubeln auch erst mal keinen Grund mehr. Denn nun kam das, was sie im Publikum einen "Hammer" nannten: Mit 14:16 Stimmen wurde die von der Kämmerei aufgelistete Finanzierung der rund 2,4 Millionen Euro teuren Maßnahme abgelehnt. Offensichtlich hatte das Wort "Kredit" im Text der Kämmerei die "Abweichler" verunsichert. Erst nach der Abstimmung klärte sich der Sachverhalt. Doch da stand der Beschluss ja bereits.
Die Reaktionen der Siedler reichten von ungläubigen Zwischenrufen wie "Das gibt´s doch nicht!" bis hin zum Hände-vor-den-Kopf-schlagen.
Was nun? Das ist die große Frage. Die Verwaltung wird wohl eine neue Sitzungsvorlage ausarbeiten.
"Unverantwortliches Abenteuer"
OB Müller hatte gleich zu Beginn um eine sachliche Diskussion gebeten und sich "nicht gegenseitig zu zerfleischen". Dennoch wurde die Stimmung im Lauf der Sitzung immer angespannter. Der OB wies darauf hin, dass auch bei früheren Projekten die Zuschüsse niedriger ausfielen als erhofft, was nicht dazu geführt habe, dass ein mehrheitlich gefasster Beschluss widerrufen wurde.
Ganz anders sah dies sein Fraktionssprecher Karl-Heinz Schmidt (UsW), der als Mitunterzeichner des Eilantrags die Sprecherrolle übernahm. Er sprach von einer "enormen Fehlentwicklung" bei den Kosten; vor allem die unklaren jährlichen Betriebskosten würden die Stadt in ein "unverantwortliches Abenteuer" stürzen.
Tatsächlich erwiesen sich die Betriebs- und Folgekosten als große Klippe. Das Problem: Verlässliche Zahlen lagen einfach nicht vor. Mit 130.000 Euro habe er die geschätzten Jahreskosten "hoch" angesetzt, meinte Kämmerer Bernhard Weber. "Die Wahrheit, die bleiben wird, ist: Das Zentrum wird den Haushalt belasten, aber die mittelfristige Leistungsfähigkeit der Kommune nicht gefährden."
Elvira Kahnt (SPD) hob ein DIN-A-4-Blatt in die Höhe, das zuvor durch die Reihen gegeistert war. Zunächst blieb dessen Verfasser im Dunkeln. Die Aussage des Zettels: Man müsse mit bis zu 285.000 Euro Folgekosten rechnen - pro Jahr. OB Müller zuckte mit den Schultern: "Ich kenne das Blatt nicht, von uns ist es nicht." Jens Pauluhn (ödp) bezeichnete den Zettel als "bewusster Versuch der Irreführung", der vor der Sitzung verteilt worden sei, "allerdings nur an manche".
Erst später, bei den Stellungnahmen der Fraktionen, "outete" sich Klaus Christof als (Mit-)Urheber der Zahlen. Die 285.000 Euro pro Jahr seien realistisch. Christof versuchte, das Gremium festzunageln: Die genannten Kosten seien sogar so realistisch, dass die KIK dem Projekt Stadtteilzentrum zustimmen würde - wenn gleichzeitig diese Folgekosten abgesegnet würden.
OB Müller blockte dieses Ansinnen ab. Ein kurzes Wortgefecht mit Christof über die Art der Sitzungsführung beendete Müller entschieden: Die Beschlussvorlage werde nicht spontan aufgrund von unverifizierten Zahlen geändert.
Auch die künftige Belegung des Bürger- und Jugendzentrums war ein großes Thema. Die Gegner monierten, die Planung lasse "eher die Nutzung eines Pfarrgemeindezentrums erkennen" (Christof). Auch Jutta Wallrapp (FBW-FW) äußerte vehemente Bedenken: Es gebe keine schriftlichen Zusagen. Bauamtsleiter Oliver Graumann erklärte jedoch, am mannigfaltigen Nutzungskonzept, das seit einem Jahr besteht, habe sich nichts geändert; Quartiersmanager André Hahn, der ebenfalls einziehen wird, bekräftigte, dass zahlreiche Gruppen "vor der Tür stehen" und nur auf die Sanierung warten.
"Das kann keiner schultern"
Hahn machte auch klar, dass die "Einbeziehung Dritter" in die Finanzierung - wie im Eilantrag gefordert - längst diskutiert wurde. Es gebe in der Siedlung aber keine Vereinigung, die so etwas schultern könnte.
Klaus Heisel (SPD) zog daraus das Fazit: "Wenn wir dem Eilantrag zustimmen, setzt das alle vorherigen Beschlüsse de facto auf Null."
Andrea Schmidt, Referentin für die "Soziale Stadt" in der Siedlung, betonte: "Wir arbeiten seit 2006 an dem Projekt und haben alle Möglichkeiten eruiert." Die Siedler würden einen Förderverein gründen und damit Kosten sparen. "Das Zentrum ist kein Fass ohne Boden!" Wieder brandete Beifall auf.
Jugendreferentin Hiltrud Stocker (CSU) unterstrich die Worte ihrer Vorrednerin. Es sei "unverantwortlich", dass Projekt jetzt scheitern zu lassen, meinte auch der CSU-Fraktionsvorsitzende Andreas Moser und sein Kollege Hugo Weiglein stellte fest: "Dann würden sich die Siedler von der Gesamtstadt verlassen fühlen."
"Die Siedlung braucht das Bürgerzentrum", befand auch Dr. Brigitte Endres-Paul (SPD), die allerdings sowohl die Finanzierung als auch die unkonkreten Folgekosten als sehr kritisch bewertete.
Schon viele Projekte verwirklicht
Für die FBW-FW sprach dagegen Jutta Wallrapp davon, dass in der Siedlung schon viele Projekte verwirklicht worden seien. Das Stadtteilzentrum aber sei ein zu großes Finanzrisiko. Franz Böhm (ProKT) sah das ähnlich. "Ich stehe zu meiner Grundsatzentscheidung fürs Stadtteilzentrum", sagte dagegen 2. Bürgermeister Werner May (fraktionslos). Er beantragte eine namentliche Abstimmung.
Mit Spannung warteten alle auf deren Ergebnis: mit 13:17 wurde der Eilantrag abgelehnt. Die Bürger applaudierten wieder - und diesmal hinderte sie niemand daran.
In ihre Freude mischte sich jedoch gleich ein Wermutstropfen, als die drei SPD-Frauen Endres-Paul, Mahlmeister und Kahnt bei der Abstimmung über die Finanzierung umschwenkten. Die Verwaltung wird nun eine neue Sitzungsvorlage erarbeiten. Nicht nur die Siedler sind gespannt, wie die erneute Entscheidung ausfallen wird - und ob es wieder so heiß wird im Kitzinger Sitzungssaal.