Erntejahr: Kritische Blicke
Autor: Ralf Dieter
Kitzingen, Sonntag, 12. Juli 2020
Willkommene Niederschläge, unwillkommene Nebengeräusche – das Wetter ist nur ein Aspekt, wenn es in der Landwirtschaft um die Bilanz eines Erntejahres geht.
Alles hängt miteinander zusammen. Das Wetter, die Ernte, der Weltmarkt, das Verhalten der Verbraucher und der Politiker. Erntegespräch auf dem Hof von Stefan Höhler in Laub. Die Gespräche kreisen um viele Themen. Die Ernte-Aussichten für 2020 sind nur ein Punkt.
„Die Wintergerste ist unser großes Sorgenkind“, sagt Stefan Höhler. Am 12. Mai hat es ein Ereignis gegeben, das der erfahrene Landwirt so noch nicht erlebt hat: Erst ein ausgiebiger Regen, dann eine klare Nacht mit Temperaturen im Minusbereich. Die Gerste hat geblüht und war empfindlich. Ergebnis: rund 40 Prozent Ertragsausfall. „Das ist vielen Kollegen genauso gegangen“, weiß Wilfried Distler, Geschäftsführer des Bauernverbandes in Kitzingen. Punktuell habe es auch Schäden beim Roggen und bei der Triticale gegeben.
Im Großen und Ganzen können die Landwirte mit dem Wetter der letzten Monate aber zufrieden sein. Nach einem trockenen Herbst 2019 gab es im Winter Niederschläge – vor allem der Februar war mit etwas mehr als 90 Litern pro Quadratmeter ein Segen. Auch der Juni brachte mit 75 l/m2 die ersehnten Niederschläge. Und so stehen viele Früchte wie Sonnenblumen, Mais oder Zuckerrüben gut da. „Stand heute, sind wir zufrieden“, sagt denn auch Stefan Höhler, der auf 300 Hektar verschiedene Sorten anbaut.
Ein Blick auf das Datenblatt birgt eine Überraschung: Die Niederschlagsmengen waren auch in den letzten Jahren relativ konstant. „Das eigentliche Problem ist die gestiegene Temperatur“, erklärt Gerd Düll, Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Kitzingen. Um rund zwei Grad Celsius ist die Durchschnittstemperatur in den letzten Jahren gestiegen. Der Februar war mit fast fünf Grad plus gegenüber dem langjährigen Mittel besonders auffallend. Konsequenz: Die Vegetation startet viel früher, ist entsprechend empfindlich für Kälteeinbrüche im Mai oder Juni. In der Hitze der Sommerwochen verdampft außerdem viel Feuchtigkeit. Alternative Anbausorten, die mit diesen Bedingungen besser zurecht kommen, gibt es nicht. „Wir müssen lernen, damit zu leben“, sagt Düll.
Gleiches gilt für die Abhängigkeit vom Weltmarkt. Und der hat in Corona-Zeiten sehr sensibel reagiert. Russland hat einen Exportstopp für sein Getreide erlassen, China hat seine Vorräte aufgestockt. Seit Jahren steigt der Verbrauch, weil die Bevölkerungszahl zunimmt und sich immer mehr Menschen höherwertige Produkte leisten können. Während der Corona-Hochphase sind die Getreide-Preise entsprechend gestiegen. „Das hat sich mittlerweile aber wieder nivelliert“, sagt Düll. Stefan Höhler rechnet mit einem durchschnittlichen Jahr. Beim Mais könnten die Preise sogar fallen. „Es wird eine sehr große Ernte prognostiziert.“
500 Schweine gab es, als Stefan Höhler den Betrieb 1994 von seinen Eltern übernommen hat. Mittlerweile sind es viermal so viele. Er hat ins Tierwohlprogramm des Einzelhandels investiert, seinen Tieren 20 Prozent mehr Platz als früher, mehr Licht und Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben. Amortisieren wird sich das nicht – zumindest nicht in diesem Jahr. „Die Preise sind im Keller“, berichtet er. Und das, obwohl die Schlachtzahlen wegen der Tönnies-Affäre rapide gesunken sind. Wurden 2019 noch rund eine Million Schweine pro Woche in Deutschland geschlachtet, sind es momentan rund 700.000. Verantwortlich dafür macht Stefan Höhler die abnehmende Hand, sprich den Lebensmitteleinzelhandel. „Eigentlich bräuchten wir jetzt dessen Unterstützung“, sagt er. „Aber selbst in der Krise werden die Billigangebote weiter geführt.“ Der Politik wirft er eine Doppelmoral vor. „Sie greift nicht ein und fördert so einen Strukturwandel durch die Hintertür.“
Die Landwirte sind in ein Netz aus Abhängigkeiten eingebunden. Das wird beim Erntepressegespräch 2020 deutlich. „Politik, Einzelhandel und Verbraucher geben die Rahmenbedigungen vor“, erklärt Stefan Höhler. „Nach denen müssen wir uns richten.“ Er hat Gewässerschutzrandstreifen angelegt, ist im Artenschutzprogramm dabei. „Wir wollen den Verbrauchern entgegenkommen und etwas für die Natur tun“, versichert er. „Aber wir müssen auch von unserer Arbeit leben können.“ Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Erzeugerpreise kaum erhöht. „Das ging nur, weil wir sehr effizient arbeiten.“ Dass viele Verbraucher diese Entwicklung jetzt kritisieren, sei ungerecht. „Sie profitieren schließlich von den billigen Lebensmitteln.“