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35 Jahre Grüne im Landkreis Kitzingen - Die Leistung der Revoluzzer


Autor: Diana Fuchs

, Freitag, 23. Januar 2015

Peter Laumer ist extra auf den Dachboden geklettert. Der 54-Jährige hat alte Archivordner durchforstet. Ein Interview mit Peter Laumer und Christa Büttner, zwei langjährige Mitglieder der Öko-Partei.
Da ging es ganz schön zur Sache: Demonstranten, darunter auch Kitzinger Grüne, protestierten 1986 in Wackersdorf gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage. Zunächst war der Protest friedlich. Nach der Katastrophe in Tschernobyl eskalierte die Situation jedoch.


Peter Laumer ist extra auf den Dachboden geklettert. Der 54-Jährige hat alte Archivordner durchforstet. Was er aus den Anfangszeiten der Landkreis-Grünen ans Tageslicht holte, zaubert nicht nur dem Ingenieur aus Schwarzach ein Lächeln auf die Lippen.

Die Sonnenblume, das Zeichen der Grünen schlechthin, leuchtet auch gut drei Jahrzehnte nach der Infoveranstaltung über „Sauren Regen“ noch vom vergilbten Veranstaltungsplakat. In einem anderen Ordner hat Peter Laumer das „Verkehrskonzept für den Kreis Kitzingen“ entdeckt, das er 1991 mit seinem Kollegen Manfred Theisen verfasst hatte. Die beiden haben sich damals Gedanken gemacht, wie Kitzingen in 20 Jahren aussehen wird. Von einer „Kitzinger Kabinenbahn“ als Herzstück des Stadtverkehrs ist da die Rede. Und von automatischen Schienenbussen, die im Fünfminutentakt unter anderem die „Main-Terrassen“ und die berühmten „Glasarkaden“ der „Ökostadt Kitzingen“ ansteuern.

„Utopien“ – so haben Laumer und Theisen ihren Aufsatz von damals überschrieben. Und doch: Einige grüne Gedanken sind Wirklichkeit geworden, etwa der „gentechnikfreie Landkreis Kitzingen“. „Und dass es jetzt tatsächlich ein 'Grünes Zentrum' in Kitzingen gibt, das ist toll“, stellt Christa Büttner mit leuchtenden Augen fest. Die Kreisrätin ist eine der „dienstältesten“ aktiven Grünen im Raum Kitzingen.

Frage: Die Grünen sind aus Friedens- und Sozialbewegungen der 70er Jahre entstanden. Was war Ihre persönliche Motivation, sich für die neue Partei zu engagieren?

Peter Laumer: Ich bin in der Ökologie- und der Tierschutzbewegung verwurzelt. Diese hatten, im Gegensatz zu den sozialen Fragen, damals keinerlei Vertretung im politischen Raum. Gleichzeitig wurden die Folgen einer naturverachtenden Lebensweise erstmals einer breiteren Öffentlichkeit deutlich. Im Großen steht dafür das Stichwort vom „Sauren Regen“ als Beispiel für eine langfristige, regionenübergreifende Gefahr. Und vor Ort waren auch bei uns im Landkreis die frischen Wunden der Flurbereinigungsorgien der 70er Jahre deutlich sichtbar: ausgeräumte Fluren und begradigte Bäche.

Christa Büttner: Ich komme tatsächlich auch aus der Friedensbewegung, war bei Mahnwachen und Demos in Kitzingen und in Wackersdorf dabei.

Frage: Wie war die Stimmung damals im Landkreis? Wie reagierten die Menschen auf die „langhaarigen, grünen Aktivisten“? Peter Laumer:

Nun ja, dieses „Was wollt ihr Spinner denn...“ gab es natürlich auch. Allerdings hielt sich das in Grenzen und offene Feindseligkeit habe ich persönlich nicht erlebt. Was aber vermutlich auch damit zu tun hatte, dass wir als doch recht überschaubares Grüppchen noch nicht so recht ernst genommen wurden. Vor allem bei den etablierten Parteien war die vorherrschende Meinung, diese Grünen seien wohl bald wieder von der Bildfläche verschwunden. Andererseits fand sich auch ganz überraschende Zustimmung und Ermunterung. So hatten wir in den 80er Jahren, lange vor Mülltrennung und Gelbem Sack, in allen Orten des Landkreises Kitzingen Aluminiumsammeltonnen aufgestellt. Damit wollten wir gegen das Totschlagsargument „Das bringt doch sowieso nichts“ angehen – und siehe da, plötzlich warfen da Leute, die nie als Grüne verdächtigt worden wären, ihre Aludosen und Joghurtbecherdeckel ein.

Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an die Grünen-Proteste der 80er?

Christa Büttner: Eher persönliche, an meine erste Übernachtung im Schlafsack und Konzerte auf riesiger Bühne in Wackersdorf.

Peter Laumer: Bei mir war der Ostermarsch 1986 in Wackersdorf ein sehr einprägsames Erlebnis. Inmitten von Zehntausenden, die in kilometerlangen Kolonnen zur Anlage marschierten, wurde auf einmal deutlich, welche Massenbewegung da entstanden war. Am Zaun geriet ich das erste Mal persönlich in einen Angriff mit Wasserwerfern und Tränengas. Im Bus auf der Heimfahrt waren wir tatsächlich in der Stimmung, eine Schlacht überstanden zu haben. „No pasarán!“ – sie werden mit dieser Atomanlage nicht durchkommen! Und das hat sich ja auch bestätigt.

Frage: 30 Jahre nach der Anti-Atom-Bewegung ist der Atomenergie-Ausstieg beschlossene Sache. Hätten die etablierten Parteien eher auf die Grünen hören sollen? Christa Büttner:

Ja, denn dieser Fehler hat langfristige Folgen. Es dauert viel zu lange, bis leistungsfähige Speichermöglichkeiten entwickelt werden.

Peter Laumer: Auch bei den damaligen Altparteien gab es ja schon vor den Grünen kluge Köpfe, die die Sackgasse der Atomenergienutzung erkannt hatten – etwa Carl Amery bei der SPD oder in der CDU Herbert Gruhl. Allerdings hatten diese innerhalb ihrer eigenen Organisationen keine Chance, sich gegen die bestens vernetzten Stromkonzerne durchzusetzen.

Die Atomfrage war deshalb der entscheidende Treiber für die Grünen, den Sprung von der Bewegung zur Partei zu wagen. Dabei war uns immer klar, welch langen Atem eine Energiewende benötigen würde. Es ist kein Zufall, dass von den Ländern, die das technologische und wirtschaftliche Potenzial dafür haben, gerade Deutschland mit seiner inzwischen „etablierten“ Grünen Partei mit der Energiewende ernst macht.

Frage: Wie wird sich die Parteienlandschaft in Deutschland entwickeln und wo sehen Sie die Grünen in zehn Jahren?

Peter Laumer: Einige Politikwissenschaftler sehen eine fortschreitende Aufsplitterung voraus. Beim Blick auf Entwicklungen in Nachbarstaaten erscheint mir das durchaus plausibel. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass im übernächsten Bundestag sechs oder gar sieben Parteien sitzen. In zehn Jahren werden die Grünen in mindestens drei Bundesländern die Ministerpräsidentin stellen. Christa Büttner: Falls die AfD mehr Wähler gewinnen wird, denke ich trotzdem nicht, dass SPD oder CDU mit ihnen koalieren werden. Und deshalb werden für mich Koalitionen mit den Grünen wahrscheinlicher. Auch wenn diese mit unliebsamen Kompromissen verbunden sind, sehe ich es immer noch eher positiv für die Gesellschaft.

Die Kitzinger Grünen können ihren 35. Geburtstag feiern

Peter Laumer: Der 1960 geborene Wirtschaftsingenieur aus Schwarzach trat den Grünen 1985 bei, engagierte sich lange Zeit im Vorstand und im Kreistag. Der ÖPNV war eines der großen Themen, die der zweifache Vater immer wieder in die öffentliche Diskussion rückte.

Christa Büttner: Die 1953 geborene kaufmännische Angestellte aus Kitzingen ist schon seit zwei Jahrzehnten Vorstandsmitglied der Landkreisgrünen und heuer im 17. Jahr Kreisrätin. Die zweifache Mutter sagt: „Ich engagiere mich, weil ich auf die Fragen meiner Kinder mit gutem Gewissen antworten möchte, dass ich mich bemüht habe, etwas gegen die drohende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu tun.“

Bündnis 90/Die Grünen: Die bündnisgrüne Partei (auch Grüne, B’90/Grüne oder „Die Grünen“ genannt) hat sich speziell der Umweltpolitik, der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit verschrieben. Wie die Bundespartei wird heuer auch der Kreisverband Kitzingen 35 Jahre alt.

Entwicklung: Aus der Anti-Atomkraft-Bewegung, aus Umwelt- und sozialen Aktionen sowie der „Neuen Linken“ der 70er Jahre gründete sich in Westdeutschland am 12./13. Januar 1980 die Partei „Die Grünen“. Eine zweite Entwicklungslinie geht auf die Bürgerbewegung in der DDR zurück.

Die Grüne Partei der DDR fusionierte 1990 mit den westdeutschen Grünen. *LDK*