Die Weisheit der Bahnfahrer

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Warten auf irgendeinen Zug: Ganz klar war es der Mädchenmannschaft des Armin-Knab-Gymnasiums und Trainer Dusan Suchy am Dienstagmorgen noch nicht, wie sie wegen des Bahnstreiks von Kitzingen zur ...
Fotos (2): Ralf Thees
Leerer Bahnsteig: Am Bahnhof in Kitzingen war am Dienstag nichts los.
 

Streiktag auf Schienen: Routine, Ärger und Ungewissheit – wie Fahrgäste in der Region am ersten Tag auf den Bahnstreik Nummer acht reagieren und warum ein Trainer verärgert ist.

In Würzburg zu wohnen und in Kitzingen zu arbeiten ist normalerweise kein Problem. Doch am Dienstag begann er – der 138 Stunden-Streik der Lokführer-Gewerkschaft GDL. Nummer acht. Wird das trotzdem klappen – mit dem Zug zur Arbeit fahren?? Gibt es inzwischen vielleicht sogar so etwas wie Streik-Routine?

Kurz vor 7 Uhr am Würzburger Hauptbahnhof. Es ist weniger los als an anderen Wochentagen. Das bestätigt auch die freundliche Dame am Informationsschalter, wo kaum Leute anstehen. Viele Fahrgäste würden sich über das Internet informieren, welche Züge fahren und sich darauf einrichten. Der Zug nach Kitzingen soll um 7.42 Uhr abfahren – wie an normalen Tagen auch.

Kitzingen, Taxistand. Komisch. An diesem Monster-Streik-geht-los-Morgen kann man doch annehmen, dass die halbe Welt Taxi fährt. Das Gegenteil ist der Fall: Fünf, sechs Wagen stehen unverrichteter Dinge da und warten sehnsüchtig auf Kundschaft.

Um kurz nach halb acht im Würzburger Bahnhof, Gleis 7. Der Zug Richtung Kitzingen ist schon da. Ebenso wie Gregor Schmidt. Der 51-Jährige will einen Freund in Buchbrunn besuchen. Auf die Frage, ob der heute unter dem Bahnstreik leidet, teilt der Frührentner seine persönliche Weisheit des Bahnverkehrs mit mir: „Wo eh wenig Züge fahren, können auch nur wenig ausfallen.“ Auch er hat sich auf der Webseite der Bahn informiert und fährt jetzt eben eine Stunde früher als geplant los. „Dann gehe ich eben noch ein bisschen in Buchbrunn spazieren“, sagt Schmidt gelassen. Als alter Gewerkschaftler habe er vollstes Verständnis für die Streiks der GDL.

Kitzingen, Falterturmkreuzung. Das Taxistand-Gefühl macht sich breit: Eigentlich müsste hier am Morgen doch viel mehr los sein. Hört man nicht immer wieder, dass alle Welt bei einem Bahnstreik auf das Auto umsteigt? Heute scheint das nicht der Fall. Alles ausgesprochen entspannt. Fast könnte man sagen: ruhig.

Pünktlich um 7.42 Uhr fährt der Zug in Würzburg ab – was sonst nicht immer der Fall ist. Die Abteile wirken leerer als üblich um diese Uhrzeit, freie Sitzplätze gibt es reichlich. In Rottendorf steigen in den Regionalzug zwei Männer ein, die geschäftlich nach Nürnberg wollen. Sie machen heute ihr „Standardstreikprogramm“, wie bei den letzen Malen auch – eine Stunde vorher im Internet schauen, welche Züge fahren und einsteigen. Spannender wird es für sie abends bei der Rückfahrt. Da haben sich bei den letzten Streiks über den Tag hinweg doch mal Fahrten auch im Regionalverkehr verschoben. „Aber sehr viel später sind wir bisher nie zurück gekommen“, erklären sie hoffnungsvoll. Genervt sind sie sowohl von der Bahn als auch von der GDL: „Irgendwie blockieren beide Seiten eine Einigung.“

Auf Facebook ist der Ärger groß. Unter der Kitzinger Main-Post-Seite wird heftig diskutiert . „Mehr Busfahrer einstellen!“ lautet eine Forderung. Der ganze Frust kommt auf den Tisch: „Die Bahn wird immer teurer und schmutziger“. Am ärgerlichsten aber ist und bleibt, dass Bahnkunden in Geiselhaft genommen werden. Dass auf ihrem Rücken der Kampf ausgetragen wird, wie etwa dieser Post zeigt: „Würden wir Altenpfleger streiken, würde man uns beleidigen, wir wären asozial, weil wir Menschen liegen lassen! Aber dass andere nicht zu ihrem Job kommen, interessiert die Lokführer nicht!“

Punkt 8 Uhr kommt der Zug am Bahnhof in Kitzingen an, ganz nach Fahrplan. Die Fahrgäste steigen aus und die Bahnsteige sind dann fast menschenleer. Auf der Treppe vor dem Bahnhof sitzen die Mädchen der Handballmannschaft des Armin-Knab-Gymnasiums. Die 14- bis 15-Jährigen wollen heute zu den deutschen Meisterschaften nach Berlin fahren. Sie hatten Sitzplätze im ICE reserviert, der um halb zehn abfahren sollte. Doch der fällt wegen des Streiks aus. Trainer Dusan Suchy ist darüber verärgert und hat kein Verständnis. Der nächste Zug fährt eine Stunde später, und er weiß nicht, wie voll der sein wird. „Die Mädchen bereiten sich lange Zeit auf das wichtige Turnier vor, und dann wissen sie nicht einmal, ob sie rechtzeitig am Spielort ankommen.“ Das erste Spiel sei zwar erst am Mittwoch, aber die Schülerinnen wollten nicht geschlaucht und spät in Berlin ankommen. Wie sie die Rückreise am Samstag organisieren werden ist völlig unklar. Die GDL will bis Sonntagabend streiken.

Vielleicht lässt sich manches in dieser Streikwoche nur mit Humor ertragen. Im Internet wird eine Modellbahn in der „Weselsky“-Version angeboten. Das Tolle daran: „Keiner der Züge lässt sich mit elektrischem Strom auch nur einen Millimeter vorwärtsbewegen. Falls eine Lok doch überraschend losfährt, wird der Kaufpreis zurückerstattet.“

Bis Sonntag soll gestreikt werden. In diese Zeit fällt auch eine geplante Zugfahrt zum AC/DC-Konzert nach Nürnberg. Wird der Ersatzfahrplan am Freitag mit den Wochenendfahrern auch funktionieren? Wie groß ist das Risiko, nur die Schlussakkorde der Band hören zu können, weil Zugverbindungen plötzlich doch entfallen? Ein Risiko bei vollem Fahrpreis, wer jetzt bucht zahlt 20,90 Euro. Eine Taxifahrt ist keine Alternative. Die würde von Kitzingen nach Nürnberg etwa 130 Euro kosten – und damit mehr als das Konzert.

Wie sind Ihre Bahnstreik-Erfahrungen? Reden Sie mit! Per Mail an red.kitzingen@mainpost.de. Oder auf Facebook: www.facebook.com/mainpost.kt . Anrufen geht auch, Ralf Thees erreichen Sie den ganzen Tag unter Tel. (0 93 21) 13 24 41 – wenn er keine Verspätung hat.