Der Weg zum Arzt wird länger

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Christian Neff mit dem Handlungsplan, an dem sich die Agenten seiner Computersimulation orientieren. Er untersucht die Veränderung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Foto: Pat Christ
Christian Neff mit dem Handlungsplan, an dem sich die Agenten seiner Computersimulation orientieren. Er untersucht die Veränderung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Foto: Pat Christ

Der Sozialgeograph Christian Neff simuliert die künftige Entwicklung bei den Landärzten. Was dabei herauskommt, sieht nicht gut aus.

Medizinstudenten gibt es zwar genug. Doch nur wenige junge Menschen möchten Landarzt werden. Das könnte in naher Zukunft dramatische Konsequenzen haben. Wie brisant das Thema ist, zeigt der an der Universität Würzburg tätige Sozialgeograph Christian Neff in seiner Doktorarbeit am Beispiel des Landkreises Schweinfurt auf.
Mit Hilfe eines sogenannten Multiagentensystems beleuchtet er die Problematik, dass sich die medizinische Versorgungssituation im ländlichen Raum aufgrund verschiedener Faktoren augenblicklich rapide wandelt. Dies gilt auch für den Kreis Schweinfurt, wo derzeit rund 50 Hausärzte tätig sind. Die Arbeitsbelastung derjenigen, die in zehn Jahren noch praktizieren werden oder deren Nachfolger dann tätig sein wird, steigt nach Neffs Berechnungen möglicherweise um fast 40 Prozent.
Neff geht in seinem Modell davon aus, dass das Interesse junger Ärzte weiterhin lau bleiben wird, auf dem Land tätig zu
sein. Dass dem aktuell so ist, bestätigten Hausärzte aus dem Kreis Schweinfurt im Vorfeld von Neffs Projekt bei einer Befragung unter Leitung von Neffs Doktorvater Professor Dr. Jürgen Rauh. "In den kommenden zehn Jahren sind demnach 20 Prozent der Arztpraxen von Schließung bedroht", so Neff.

Älter und kränker

Er selbst befragte über 500 Erwachsene, wie lange sie derzeit brauchen, um einen Hausarzt aufzusuchen, und nach welchen Kriterien sie ihren Arzt wählen. Die Daten flossen in die Computersimulation zur künftigen Versorgungssituation ein.
Nicht in dem Modell berücksichtigt sind Erfolge der Medizintechnik. "Das war in der vorhandenen Zeit nicht zu schaffen", sagt der 30 Jahre alte Sozialgeograph. Natürlich könnte es sein, dass in Zukunft mehr Menschen, etwa mit der Diagnose Diabetes, fernüberwacht werden. Sollte dies nicht geschehen und sollte es in den kommenden Jahren auch nicht zur Errichtung neuer medizinischer Versorgungszentren auf dem Land kommen, wird das Pensum, das Hausärzte zu bewältigen haben, deutlich zunehmen. Neff: "Nach meiner Simulation steigt die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Kreis Schweinfurt 2016 um zehn und 2021 um 38 Prozent gegenüber heute."
Dass die wichtigste Ressource des Gesundheitswesens, nämlich das ärztliche Personal, knapp zu werden droht, ist brisant, obwohl wegen des demographischen Wandels bald weniger Menschen im ländlichen Raum leben werden. "So paradox es klingt, doch Landärzte bekommen dennoch immer mehr zu tun", so Neff. Die Menschen würden zwar weniger, gleichzeitig aber älter und damit kränker: "Was die Behandlungsfälle ansteigen lässt." Für die Patienten bedeutet dies, wie Neff mit seinem Multiagentensystem herausfand, dass sie längere Wege zum Arzt ihres Vertrauens zurücklegen müssen: "Die Wegezeiten steigen bis 2016 um drei und bis 2021 um 16 Prozent."

Spezielle Förderung für Landärzte

Praktisch rund um die Uhr für Patienten erreichbar sein zu müssen, das macht den Landarztberuf so unattraktiv. Die Politik hat dies erkannt und bemüht sich, Anreize zu setzen. So werden Studierende, die sich verpflichten, nach Abschluss ihrer Ausbildung fünf Jahre auf dem Land ärztlich tätig zu sein, neuerdings speziell gefördert. Rauh: "Der Worst-Case aus der Simulation unseres Doktoranden Christian Neff muss also nicht eintreten." Im Gegenteil, alles sollte getan werden, um eine so gravierende Entwicklung zu verhindern. Wünschenswert wäre es für Rauh und Neff deshalb, würden sich Politiker und Vertreter der Ärztekammer für die Simulation interessierten.



Multiagentensystem

Bei so genannten Multiagentensystemen handelt es sich um künstliche Intelligenz. Mit ihrer Hilfe kann komplexe Wirklichkeit in einem Modell abgebildet werden. Das System eignet sich zum Beispiel zur Simulation von Gesellschaften. Bei einem Multiagentensystem lösen Software-Agenten gemeinsam eine Aufgabe oder ein Problem, indem sie interagieren. Die einzelnen Agenten handeln dabei autonom nach bestimmten, vorgegebenen Zielen. Jeder Agent wirkt auf den anderen ein. Auch die Umwelt ist Teil des Modells. Bestimmte Mechanismen gestalten das Zusammenwirken der Agenten. Durch Multiagentensysteme können zum Beispiel auch technische Prozesse optimiert werden.