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Haßfurter kämpft sich nach Schädel-Hirn-Trauma zurück ins Leben


Autor: Ralf Naumann

Augsfeld, Sonntag, 12. Januar 2014

Thomas Häußinger aus Augsfeld erlitt im August 2012 ein Schädel-Hirn-Trauma und lag einen Monat im künstlichen Koma. Was möglicherweise Michael Schumacher noch bevorsteht, hat er bereits durchlebt.
Er ist tapfer. Thomas Häußinger mit dem Foto vom Unfall, der am 4. April 2012 sein Leben veränderte: Beim Zusammenstoß mit einem Lkw erlitt der 41-Jährige ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma. Nur langsam kämpft er sich ins normale Leben zurück. Fotos: Ralf Naumann


Schädel-Hirn-Trauma: Seit dem Skiunfall von Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher ist dieser Begriff in aller Munde. "Das ist ganz schlimm", betont Thomas Häußinger aus dem Haßfurter Stadtteil Augsfeld. Er weiß wovon er spricht, denn der 41-Jährige hat Unfall, Trauma, künstliches Koma und lange Rehabilitation selbst mitgemacht und leidet noch immer an den Folgen.

Jetzt nach den Ereignissen im französischen Skigebiet Méribel und der Schumachers Behandlung in Grenoble besteht schlagartig mehr Interesse an seinem Schicksal. Das löst bei ihm gemischte Gefühle aus. "Viele Bekannte haben mich mittlerweile gefragt, ob es bei mir auch so schlimm war, wie beim Schumacher", sagt Häußinger und schiebt die bittere Antwort hinterher: "Ja es war so schlimm - und noch schlimmer."

Es war der 4. April 2012, an dem sich "mein Leben veränderte", erzählt der Fußballer, der in Holzhausen, Stettfeld, Hofheim und zuletzt beim FC Augsfeld II Spieler und Trainer war. Thomas Häußinger wollte mit seinem Audi um 8 Uhr zum nahen Bäcker fahren, um für seine damals zweijährige Tochter Maria für den Kindergarten Laugenbrezeln zu holen. Auf dem Rückweg ist es an der "Obi"-Kreuzung beim Haßfurter Gewerbegebiet passiert:

Keine Erinnerung mehr

"Von rechts kam plötzlich ein großer Lkw und rammte mit voller Wucht seitlich in mein Auto", sagt Häußinger, der sich danach an nichts mehr erinnern kann. Erst von seiner Frau Isolde, von der Familie oder später aus den Zeitungen erfuhr er nach Wochen Näheres: Intubation, Not-Operation im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt - das volle Programm.

Er hatte ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma. "Ein Arzt berichtete mir danach, dass in meinem Kopf so ziemlich alles gebrochen war, was man nur brechen kann." Kurz nach dem Unfall war die Prognose sehr schlecht.

"Wenn er es überhaupt überlebt, dann wohl als Pflegefall", zitiert Isolde Häußinger die Aussagen behandelnder Ärzte; es fällt ihr schwer, daran zurückzudenken. "Und es kann noch niemand wirklich sagen, wie es weitergeht." Knapp vier Wochen lag ihr Mann im künstlichen Koma.

"Ich habe mich sozusagen ausgeruht und wurde nebenbei zum Nichtraucher, denn ich habe von dieser Zeit ja fast nichts mitbekommen", sagt Thomas Häußinger.

Die lange Ungewissheit war "sehr heftig", schildert Isolde Häußinger: "Die Ärzte konnten uns nicht sagen, was beim Aufwachen mit Thomas ist. Kann er hören, kann er sehen, ist er geistig behindert, gibt es sonstige Schäden, welche Schäden bleiben, welche gehen wieder vorbei? Es waren unheimlich viele Fragezeichen."

Bis heute wie ein Wunder

Es ist deshalb für die Häußingers ein Wunder, dass die lebensgefährlichen Verletzungen nicht die befürchteten Auswirkungen hatten. Nach der zweiten Kopf-Operation - am dritten Geburtstag seiner Tochter - wurde der Augsfelder direkt zur "Früh-Reha" nach Bad Neustadt in die Neurologie verlegt - liegend. Erst allmählich konnte er einen Rollstuhl und später einen Rollator benutzen.

Riesengroß war die Freude, als er sich erstmals wieder ohne Gehhilfe fortbewegen konnte. "Das war nur das körperliche Problem, weil, wenn man so lange liegt, ist es nicht selbstverständlich, dass man wieder auf die eigenen Beine kommt", sagt Thomas Häußinger. Die neurologischen Folgen dauern länger. Geduld. Viel Geduld. "Dieses Wort konnte ich fast nicht mehr hören", erinnert sich der 41-Jährige. Trotz des "unnormal schnellen Fortschrittes", wie ihm Fachleute bestätigten, war es ihm nicht schnell genug gegangen. "Ich wollte einfach wieder heim. Ich wollte wieder auf den Fußballplatz, ich wollte wieder arbeiten."

Das gelang erst nach einem Vierteljahr, Ende Juni 2012. Bis heute, nach knapp zwei Jahren, bestimmen Arzttermine, tägliche Therapien oder Krankengymnastik den Tagesablauf. "Es war und ist nicht immer leicht. Ich war schnell erschöpft, schnell gereizt, einfach müde. Außerdem habe ich ständig starke Kopfschmerzen."

Trotz alledem versucht Häußinger, sich ins "richtige" Leben einzuordnen. Dazu gehört der Fußball. "Es war mir wichtig, wieder als Trainer auf den Platz zurückzukehren." Er freut sich, dass es gelang, die Kreisligamannschaft des FC Augsfeld II in der letzten Saison noch vor dem drohenden Abstieg zu retten. Das habe ihm "gut getan", auch wenn er sich öfters aufregen musste. Seit Sommer hat er Fußball-Pause.

Zurück in den Beruf

Seine ganze Konzentration gilt jetzt der beruflichen Wiedereingliederung. Es laufe derzeit "relativ gut". Er denkt dankbar an Kollegen und Betriebsarzt. Der gelernte Schreiner bedauert nur, seinen Beruf als CNC-Dreher in der Fertigung in einer Schweinfurter Fabrik aufgrund der Laustärke und anderen Faktoren nicht mehr ausüben zu können.

Anderes entwickelt sich nicht so, wie erhofft: "Ich bin noch längst nicht der Alte und werde es wohl auch nicht mehr werden." Etwas resigniert kling das.

Der Kampf um den Optimismus

"Gut schaust aus", höre er oft. "Aber Schmerzen kann man halt nicht sehen." Jammern will er freilich nicht. Es ist schon schwer, immer wieder zu neuer Zuversicht zu finden.

Aber Häußinger ist ein Kämpfertyp. Selbst drei Kreuzbandrisse hatten ihn vor Jahren nicht dazu zwingen können, seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. "Für die Bezirksliga hat es noch gelangt", lacht der 41-Jährige. Mittelfristig will er wieder Trainer sein.

Als "oft noch schlimmeren Kampf" bezeichnet er die Bürokratie, es ist der "Papierkrieg". "Es ist echt Wahnsinn. Leider werden oft unnötige Steine in den Weg gelegt." Beispiel Rentenversicherung: Die lehnte eine MBO-Reha ab, erst nach einem Widerspruch gab es grünes Licht - dann gleich für fünf Wochen.

"Solche Beispiele gibt es leider haufenweise", ergänzt seine Frau Isolde. Ebenso müssen sich die Eheleute mit dem Unfall beschäftigen. Zermürbend ist es. "Mich ärgert, dass sich trotz Appellen der Polizei nur eine Zeugin gemeldet hat, und das obwohl an der Kreuzung zum Unfallzeitpunkt reger Verkehr herrschte", meint Häußinger. "Das verstehe ich nicht. ... Keiner will da mit reingezogen werden, auch wenn der Unfall gesehen wurde."

Seine Ampel zeigte grün!

Bei der ersten Verhandlung im November wurde wenigstens eines geklärt: Die Ampel zeigte Häusinger grün.
"Dass der Unfall bisher nicht aufklärbar" scheint, mutet Häußinger merkwürdig an. Wurde, wie er mutmaßt, "einseitig ermittelt", "einiges verdreht"? Häußinger ist überzeugt davon: "Einiges ist da leider schon seltsam gelaufen."

Wie auch immer: Häußinger drückt Schumi die Daumen, und er selbst ist vielen Menschen dankbar, "die an mich gedacht, mitgehofft und an mich geglaubt haben." Der Blick geht nach vorne. "Schaun mer mal, was die Zeit so bringt." Dafür braucht er, das weiß er, viel, viel Geduld.