Wirtschaft setzt auf Flüchtlinge zur Sicherung des Fachkräftebedarfs

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Anette Kramme
Anette Kramme

Stephan Herbert Fuchs Anette Kramme fand deutliche Worte: "Ein Teil der Gesellschaft fängt das Durchknallen an wegen der Flüchtlinge", sagte sie. Ziel sämtl...

Stephan Herbert Fuchs

Anette Kramme fand deutliche Worte: "Ein Teil der Gesellschaft fängt das Durchknallen an wegen der Flüchtlinge", sagte sie. Ziel sämtlicher Maßnahmen seitens der Politik sollte deshalb vor allem der gesellschaftliche und soziale Frieden in unserem Land sein, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit. Möglich werde dies nur dann sein, wenn Flüchtlinge integriert sind und einer Arbeit nachgehen, so Kramme beim oberfränkischen Expertengipfel zum Thema Fachkräfte an der Industrie- und Handelskammer in Bayreuth.
Eigentlich ging es um die Sicherung von Fachkräften, doch diesmal standen die Flüchtlinge im Fokus. Bis zum Jahr 2030 fehlen dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt nach den Zahlen aus dem Ministerium drei bis vier Millionen Menschen, bis 2035 siebeneinhalb Millionen und bis 2060 bis zu 14,5 Millionen. "Das sind ganz entsetzliche Zahlen", sagte die SPD-Politikerin. Neben den üblichen Maßnahmen, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, setzen Politik und Wirtschaft ganz besonders auf Flüchtlinge.
Doch wie ist es um die Qualifikation von Flüchtlingen bestellt? Laut Staatssekretärin Kramme hätten sieben Prozent keine Schule besucht, dagegen 18 Prozent eine Hochschule oder Universität absolviert. Jeweils zwischen 20 und 30 Prozent schlossen mit Grundschule, mit Mittelschule oder mit Gymnasium ab. Fest stehe nach den Erhebungen aus dem Bundesarbeitsministerium aber auch: knapp drei Viertel der Flüchtlinge haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Als Ursache dafür nannte Kramme, dass es in den betreffenden Ländern eben keine duale Berufsausbildung gibt. "Learning by doing", so sei es dort üblich.
Das ist die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit sei, dass 50 Prozent der Flüchtlinge jünger als 25 Jahre sind, ein Drittel sei sogar noch minderjährig. Das bedeute, man kann mit den Flüchtlingen noch arbeiten. Das bedeute aber auch, niemand kann davon ausgehen, dass sie schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Nach den Zahlen von Staatssekretärin Kramme seien aktuell rund 285 000 Flüchtlinge anerkannt, die übrigen befänden sich im Anerkennungsverfahren, würden geduldet oder seien bereits abgelehnt.
Als wichtigste Hilfsprogramme nannte Kramme zum einen die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen. Das seien Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge, die keinerlei Beschäftigung haben und ihre Zeit in den Unterkünften verbringen müssen. Sie sollen durch die Maßnahme erste Kontakte zur Bevölkerung knüpfen und erste Sprachkenntnisse erwerben. Zur Verfügung stünden aktuell 70000 Plätze bundesweit. Als weiteres Hilfsprogramm bezeichnete die Staatssekretärin die Integrationskurse mit arbeitspolitischen Maßnahmen. Hier gehe es ebenfalls um Sprach- beziehungsweise auch um Rechtskenntnisse. Die zur Verfügung stehenden 360 000 Plätze seien allerdings längst nicht ausgeschöpft, ebenso wie die berufsbezogenen Sprachkurse.
Wie dramatisch der Fachkräftemangel bereits in Oberfranken ist, erläuterte IHK-Hauptgeschäftsführerin Christi Degen. Sie sprach von aktuell rund 16 000 offenen Stellen. Nur etwa 1000 davon sollten Akademiker sein. Prognosen der IHK gingen bis zum Jahr 2013 von 42 000 offenen Stellen mit einer noch niedrigeren Akademikerquote aus. Hauptgründe dafür seien unter anderem die demografische Entwicklung und die rückläufige Zahl der Schulabsolventen.
Berufliche Bildung statt Studium wäre ein Lösungsansatz, sagte Degen, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zweiter und eben die Einbindung von Flüchtlingen. Festgehalten hat die IHK all diese Strategien in einem eigenen Fachkräftekonzept, das in den kommenden Wochen und Monaten mit allen relevanten Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik und Arbeitsverwaltung diskutiert werden soll. Auch hier ist die Integration von Geflüchteten durch Ausbildung und Arbeit einer der Kernpunkte. Dies werde aber ein jahrelanger Prozess über einen Zeitraum von rund acht Jahren sein.