Ein Mann liegt verletzt an einem Feldweg, Augenzeugen berichten, er sei von einem Auto umgefahren worden. Der Fahrer flüchtet, meldet sich später bei der Polizei. Am Amtsgericht in Haßfurt wurde die Schuldfrage geklärt.
Andreas Lösch
Ganz schön was los war an jenem Vatertag im Mai 2015 auf einem Schotterweg zwischen Untermerzbach und Recheldorf. Polizei, Rettungswagen und sogar ein Hubschrauber waren da. Weil ein Mann schwer verletzt am Boden lag. Viel Aufregung, viel Hektik, wenig Übersicht. Ein Autofahrer soll ihn mit einem weißen Mercedes "regelrecht umgemäht" haben, hatte ein (angetrunkener) Augenzeuge damals unserem Redakteur Ralf Kestel geschildert, der vom Unfallort berichtete.
Den Autofahrer gab es tatsächlich, er war zunächst davongefahren, meldete sich aber später bei der Polizei. Mit den Verletzungen des Mannes habe er jedoch nichts zu tun, denn angefahren habe er niemanden.
Dann also doch ein Prozess
Der Fall wurde am Mittwoch vor dem Amtsgericht in Haßfurt verhandelt. Angeklagt war der 56-jährige Mercedesfahrer aus dem Landkreis Coburg. Das 51-jährige Unfallopfer aus dem nördlichen Landkreis Haßberge trat als Zeuge und Nebenkläger auf. In den knapp zwei Jahren zuvor waren die Ermittlungen schon einmal eingestellt, aufgrund einer Beschwerde seitens des Unfallopfers aber wieder aufgenommen worden. Einen Strafbefehl über 40 Tagessätze zu je 40 Euro (insgesamt 1600 Euro) hatte der Angeklagte nicht akzeptiert, so dass es jetzt zur öffentlichen Hauptverhandlung kam.
Richterin Ilona Conver stand vor der Aufgabe, vorwiegend anhand von Zeugenaussagen die Schuldfrage zu klären. Ach ja: Eine nicht gegessene Bratwurst spielte bei dem Prozess auch noch eine beachtliche Rolle. Am Ende der fast fünf Stunden dauernden Verhandlung stand fest: schuldig. Wegen fahrlässiger Körperverletzung und weil er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt hatte, muss der Mercedesfahrer nun 35 Tagessätze zu je 60 Euro (insgesamt 2100 Euro) bezahlen. Zudem verhängte Conver ein "symbolisches Fahrverbot" von einem Monat. Sie sagte aber: "Das Verschulden (des Angeklagten) in Sachen Körperverletzung sehe ich eher im unteren Bereich."
Denn: Die Situation am Vatertag war verworren, ob die Verletzungen des Unfallopfers direkt durch den Zusammenstoß mit dem Auto herrührten oder ob der Wagen den Mann nur leicht berührt hat und der 51-Jährige dann - begünstigt durch seinen alkoholisierten Zustand von rund 1,7 Promille Blutalkohol - umknickte, war nicht eindeutig zu klären. Überzeugt jedoch war Conver davon, dass die Verletzungen an Ort und Stelle verursacht wurden und zu dem Zeitpunkt, als auch der Angeklagte mit seinem Wagen am Unfallort war. Dass ein "Touchieren" stattgefunden hat, auch davon war die Richterin überzeugt. Am besten zusammenfassen ließe sich die ganze Geschichte jedoch unter der Überschrift "Dumm gelaufen", sagte sie.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, so viel zur strafrechtlichen Seite. Was zivilrechtlich auf die Streitparteien zukommt, wird sich an anderer Stelle zeigen: Das Unfallopfer, das wegen seiner Verletzungen (Bruch des Sprunggelenks und Bänderschaden) längere Zeit arbeitsunfähig war, will nach den Angaben seines Rechtsanwalts Steffen Vogel einen Verdienstausfall von rund 145 000 Euro sowie Schmerzensgeld in Höhe von 20 000 Euro erstreiten.
Belastungseifer bei den Zeugen?
Für den Strafprozess war dieser Umstand insofern relevant, als der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Karsten Schieseck, deswegen am Mittwoch die Glaubwürdigkeit einiger Zeugen infrage stellte, weil diese miteinander befreundet beziehungsweise gut bekannt seien. Er sprach von Belastungseifer gegenüber seinem Mandanten.
Gleich zu Beginn der Verhandlung wurde deutlich, dass sich mit Schieseck und Vogel zwei wortgewandte, selbstsichere und streitlustige Anwälte gegenüberstanden. Schieseck hatte schnell genug von den Ansagen seines Berufskollegen, denn als Vogel den Angeklagten fragte, warum dieser nach dem Vorfall nicht wie geplant eine Bratwurst auf dem Vatertagsfest in Recheldorf gegessen habe, schüttelte Karsten Schieseck mit dem Kopf und sagte: "Wir werden keine weiteren Fragen der Nebenklage mehr beantworten."
Vogel hatte argumentiert, dass der Angeklagte bei der Unfallaufnahme durch die Polizei angegeben hatte, an diesem Donnerstag, 14. Mai, seinem normalen Tagesablauf als Landwirt nachgegangen zu sein. Am Nachmittag wollte er nach Recheldorf fahren und sich besagte Wurst holen, tat dies aber nicht, sondern fuhr heim, nachdem sich die Sache auf dem Schotterweg ereignet hatte. Laut Vogel deutete das darauf hin, dass der Mann von einem schlechten Gewissen geplagt wurde. "Die Bratwurst wollte er plötzlich nicht mehr essen", sagte er. Wäre er unschuldig und hätte, wie behauptet, mit dem Unfall nichts zu tun, hätte er frohen Mutes auf das Fest gehen können, um sich zu entspannen. Schieseck fand die Bratwurstargumentation schlicht albern und ließ Vogel bei weiteren Fragen abblitzen.
Den Schilderungen der Augenzeugen zufolge ereignete sich Folgendes: Eine Gruppe von vier Männern wanderte auf dem Schotterweg entlang, alle hatten Alkohol getrunken. Ein Bekannter der Männer fuhr zufällig mit seinem Wagen den gleichen Weg entlang und hielt für einen kurzen Plausch an. Dahinter näherte sich der Mercedesfahrer, der warten musste, bis die Straße frei war.
Beobachtungen der Zeugen
Als sie frei war, fuhr er eigenen Angaben zufolge ganz normal los, passierte die Gruppe, fuhr aber niemanden dabei an. Jemand habe auf seinen Kofferraumdeckel geschlagen, woraufhin er kurz anhielt, dann aber weiterfuhr, weil er sich auf eine Konfrontation mit vier offensichtlich alkoholisierten Männern nicht einlassen wollte. Die anderen Zeugen berichteten dagegen übereinstimmend, dass das Auto den 51-Jährigen erfasst haben muss, da dieser just in dem Moment zu Boden ging, als der Mercedes vorbeifuhr. Dann habe der Geschädigte gerufen: "Der Depp hat mich umgefahren!"