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Ein Neustadter erobert die Siemens-Spitze


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Donnerstag, 12. April 2018

Wenn Joe Kaeser 2021 abtritt, könnte ein ehemaliger Neustadter Siemenschef werden. Michael Sen spricht über seine Heimat und verrät seine Ziele.
Foto: Siemens AG


Die kunstvoll aufbereitete MRT-Aufnahme seines Gehirns hängt neben seinem Vorstandsbüro in der Siemens AG München. Michael Sen hat das Bild von seinen Mitarbeitern nach seiner Rückkehr von Eon geschenkt bekommen. Die Symbolik spricht für sich.
Der freundlich lächelnde Mann wird derzeit als "Siemens-Allzweckwaffe" (Manager-Magazin), "Erster Offizier"(Handelsblatt) und sogar als designierter Nachfolger von Siemens-Chef Joe Kaeser gehandelt. Michael Sen und Joe Kaeser sind alte Weggefährten.
Der am Niederrhein geborene und in Neustadt bei Coburg aufgewachsene Betriebswirt Michael Sen startete Mitte der 90er Jahre in der Strategieabteilung und kehrte später unter Joe Kaesers Führung dahin zurück. Seit vergangenem Jahr ist Michael Sen Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Healthineers und im Vorstand des Siemens-Konzerns unter anderem für die Medizintechnik verantwortlich.
Von Michael Sen, mittlerweile in der großen weiten Welt zu Hause, wollten wir wissen, welche Rolle Heimatgefühle für ihn spielen und ob es Erfolgsrezepte gibt. Er verrät uns, was ihn geprägt hat und was ihn besonders gefreut hat.

Herr Sen, ist Heimatverbundenheit in der globalisierten Arbeitswelt von heute noch ein Wert oder eher ein Auslaufmodell?
Michael Sen: Je mehr die Welt über die Globalisierung zusammenwächst und das Tempo durch die Digitalisierung zunimmt, desto wichtiger ist es für den Einzelnen, einen Bezugspunkt zu haben. Heimat oder auch ein Zuhause sind solche Bezugspunkte. Das ist jedenfalls bei mir und vielen Freunden und Kollegen der Fall - ganz gleich, woher sie jeweils kommen. Ich denke sehr gerne an die Zeit in Neustadt zurück: sowohl an meine Schulzeit auf dem Arnold-Gymnasium als auch an die Zeit in den Sportvereinen.
Der Teamgeist und die Leidenschaft am Sport haben mich definitiv geprägt. Besonders heimisch habe ich mich auf der hiesigen Tennisanlage gefühlt. Dass die Junioren-Meisterschaften im Landkreis nach meinem verstorbenen Vater Drahti Sen benannt wurden, freut mich deshalb sehr. Sich daran zu erinnern, wo und wie man aufgewachsen ist, hilft einem, nicht abzuheben und den Blick für das Wesentliche zu behalten, egal, wie viel gerade los ist.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, zumindest kenne ich keines. Die Welt heute ist viel zu komplex und schnelllebig, als dass man über Jahre hinaus eine Karriere planen könnte. Jeder muss für sich selbst herausfinden, was einem im Beruf wichtig ist, wo man seine Stärken einbringen kann und in welchen Bereichen man sich weiterentwickeln möchte. Nur wer sich diese Fragen stellt, kann den nächsten Schritt gehen.
Mir war es beispielsweise schon immer wichtig, mich mit den unterschiedlichsten Menschen auszutauschen, zu verstehen, wie sie ticken, was sie beschäftigt, was ihnen wichtig ist und was nicht. Dieser Austausch hilft mir oft dabei, die richtige Entscheidung zu treffen. Über die Jahre ist so ein wertvolles Netzwerk von Menschen entstanden, die mir wichtig sind, die ich gut kenne und die mich gut kennen. Dass wir uns aufeinander verlassen können, ist für mich dabei das Entscheidende.

Wie definieren Sie Erfolg?
Erfolg gibt es für mich nur im Team - alles andere macht schnell einsam und keinen Spaß. Das richtige Team zusammenzustellen, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten und gemeinsam Ergebnisse zu erzielen - das ist für mich Erfolg. In den vergangenen Jahren hatte ich in den verschiedenen Aufgaben, die mir übertragen wurden, bei Siemens, bei E.ON oder beim Börsengang der Siemens Healthineers immer wieder die Möglichkeit, mit hervorragenden Teams tolle Erfolge zu feiern. Daraus schöpfe ich dann auch die Kraft, weiterzumachen, wenn's mal nicht so läuft, wie ich mir das vorgestellt habe. Das versuche ich auch immer wieder jüngeren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg zu geben.

Welches Ziel würden Sie gerne noch erreichen?
In meiner aktuellen Aufgabe bei Siemens habe ich genug zu tun. Vor allem mit den Themenfeldern Medizintechnik und erneuerbare Energien sind entscheidende Fragestellungen der kommenden Jahre verbunden. Das ist spannend. Bei den Siemens Healthineers und Siemens Gamesa Renewable Energy geht es um grundlegende Veränderungen in beiden Branchen, die wir aktiv mitgestalten wollen. Mein Beitrag besteht darin, in meiner jeweiligen Rolle dafür zu sorgen, dass wir in diesen Geschäften dauerhaft die Nase vorn haben. Und dann möchte ich auch ein bisschen von dem, was ich über die vergangenen Jahrzehnte im Berufsleben gelernt habe, an die nächste Generation weitergeben. Wenn das alles klappt, bin ich ganz zufrieden.