Bespucken, beleidigen und treten

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Psychische Probleme und Alkohol - eine gefährliche Mischung Symbolfoto: dpa
Psychische Probleme und Alkohol - eine gefährliche Mischung  Symbolfoto: dpa

Eine 47-Jährige steht in Coburg vor Gericht, weil sie vor einem Jahr immer wieder in der Öffentlichkeit ausrastete. Dabei spielte ihr Alkoholkonsum eine Rolle.

Coburg/Lichtenfels — Sie muss die gute Absicht zeigen, den Willen zur Therapie. Das schärfte Richter Christoph Gillot am Ende des ersten Prozesstages der 47-jährigen einstigen Lichtenfelserin ein. Immerhin 28 Anklagepunkte wurden gegen die Frau verlesen, die über Monate hinweg in Lichtenfels Menschen beleidigte, bespuckte oder sogar körperlich anging.
Ruhig, gefasst und kooperativ. So saß die Angeklagte am Mittwoch im Sitzungssaal des Landgerichts neben ihrem Verteidiger Bernd Legal. Die Fußfessel, mit der sie hereingeführt wurde, ließ Gillot auf ihre und Legals Bitte hin abnehmen. Dann begann ein über achtstündiger Verhandlungstag mit drei hauptamtlichen Richtern, einem Staatsanwalt, zwei Schöffen, einem psychologischen Gutachter und einer Menge Zeugen. Doch zu den Überraschungen des Tages mochte zählen, dass manche Zeugen wenig Belastungseifer zeigten und sogar milde Worte für die derzeit in einer Verwahrung befindliche Frau fanden.
Die Vorwürfe gegen die Angeklagte entstammten sämtlich aus der zweiten Jahreshälfte 2015. Tritte gegen Kotflügel von Lichtenfelser Taxis, eine Ohrfeige gegen eine Seniorin, der Wurf einer Säge gegen den Rücken eines Mannes beim Christbaumverkauf, immer wieder heftigste und willkürliche Beleidigungen gegen ihr unbekannte Menschen und Bespucken dieser - all dies zwischen Juni und Dezember des vergangenen Jahres. Sie wurde zu einem Ärgernis, das manchen Bürger den Kopf schütteln ließ.
Christoph Mattern, Facharzt für Neurologie und psychologischer Gutachter brachte den Begriff der bipolaren Störung ins Spiel, einer psychischen Erkrankung, die im Falle der 47-Jährigen durch Alkohol befeuert zu werden schien. "Nüchtern war sie a klasse Frau, aber wenn sie was gsoffen ghabt hat, war sie unausstehlich", sagte denn auch ein in den Zeugenstand gerufener ehemaliger Lebensgefährte.


Schaden am Auto

"Gab es Vorfälle?", fragte Gillot. "Vorfälle hat es immer gegeben", antwortete der 59-Jährige. Auch sein Auto nahm Schaden, der mit 755 Euro angegeben wurde. Allerdings erklärte der Geschädigte auch, dass er nur vermuten könne, dass die Angeklagte dafür verantwortlich zeichnete. Gesehen habe er das nicht. Dazu winkte der Mann ab und erklärte, dass er auf dem Schaden sowieso sitzen bleiben würde und kein Strafverfolgungsinteresse habe.
Ein anderer Zeuge machte keine so souveräne Figur. Der 58-jährige Facharbeiter schilderte sich als "verliebt in die Frau" und lieferte dem Gericht gegenüber höchst widersprüchliche Angaben dazu, seit wann er sich mit der Frau als zusammen betrachtet.


Attacke auf blinde Ehefrau

Der problematische Hintergrund dabei war, dass es einen tätlichen Angriff der Beschuldigten gegenüber der blinden Ehefrau des 58-Jährigen gab. Dabei soll die 52-Jährige von der Angeklagten gewürgt und mit Worten wie "Hätte ich doch fester zugedrückt, dann hätt'st nicht mehr zwischen uns gestanden" bedacht worden sein.
Was Gillot gegen den Ehemann aufbrachte, waren dessen Angaben, die sich sehr von denen bei der ersten Vernehmung bei der Polizei unterschieden. Dabei ging es um die Frage, was er von dem Vorfall bezeugen kann. Der Mann erklärte, seine Frau sei ohne Einwirkung der Angeklagten vornüber gefallen, die Ehefrau hingegen erklärte, es gebe keinen Zweifel daran, dass sie gewürgt worden ist. Noch heute, 13 Monate nach dem Vorfall, habe sie Halsbeschwerden.
"Mei Fraa sicht nix und dann schreit sie gleich wie a Dolla", fasste ihr Ehemann ein Zusammentreffen seiner Frau mit der Beschuldigten lapidar zusammen. Zu diesem Zeitpunkt mochte er auf einem schmalen Grat gewandelt sein, der das Gericht auch hätte bewegen können, gegen ihn vorzugehen. So musste er sich auch die in scharfem Ton vorgebrachte Frage Gillots gefallen lassen, ob er "jetzt oder bei der Polizei gelogen" habe.
Doch während die 52-Jährige aussagte, sollte es auch zu einer freundlichen Geste seitens der Beschuldigten ihr gegenüber kommen, als sie aufstand um der Ehefrau ihres Verehrers das Mikrofon zurechtzustellen.


Schimpfworte und ein Hausverbot

Nicht alle gegen sie erhobenen Anklagepunkte gestand die Frau ein. Aber sie bestritt auch nicht alle, wenngleich manche ihrer entkräftenden Argumente unglaubwürdig geklungen haben mochten. So wies die Beschuldigte, die zu jedem einzelnen Anklagepunkt Stellung beziehen musste, gelegentlich darauf hin, dass sie manches Schimpfwort gar nicht im Sprachgebrauch habe, es darum nicht gefallen sein könne. Und dass sie einen Laden trotz Hausverbots betreten haben soll, hielt sie entgegen, dass sie den nicht betreten haben könne, gerade weil sie ja Hausverbot habe.
Doch neben kuriosen oder erschreckenden Momenten gab es auch nachdenklich machende. Denn wie konnte die 47-Jährige so aus der Bahn geraten? Hausfrau, verheiratet, Mittlere Reife, erlernter Beruf, Sportinternat und eine Kindheit, in der es ihr eigenen Aussagen zufolge "an nichts gemangelt" habe. Ein Selbstmord im näheren Umfeld, so die Frau, habe sie schwer beeindruckt. Dann aber kam der Alkohol.
Richter Gillot machte ihr klar, dass sie nur dann auf eine Bewährungsstrafe hoffen dürfe, wenn sie sich in einer dafür geeigneten Einrichtung einer Therapie unterziehe. Bis zum 2. Dezember hat sie das zu bedenken, dann findet der zweite Prozesstag statt.