Theaterstück auf Türkisch - ganz ohne Sprachkenntnisse

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Der verrückte Gouverneur (Murat Ovant, Zweiter v. l.) schafft die Bürokratie ab und hört sich die Sorgen der Bürger lieber selbst an.Foto: Lengenfelder
Der verrückte Gouverneur (Murat Ovant, Zweiter v. l.) schafft die Bürokratie ab und hört sich die Sorgen der Bürger lieber selbst an.Foto: Lengenfelder

Die Gruppe "Objektif Sahne" aus Nürnberg führt in Forchheim eine Tragikkomödie auf. Eine FT-Reporterin wagt sich in das Schauspiel - ganz ohne türkische Sprachkenntnisse .

Zugegeben, zunächst bin ich skeptisch. Ein Theaterstück in türkischer Sprache im Jungen Theater verfolgen: Kann das denn gutgehen, wenn ich doch kein Türkisch kann? Bis auf den Titel des als Tragikkomödie angekündigten Stücks "Buzlar Cözülmeden" - zu Deutsch "Bis der Schnee schmilzt" - habe ich nur wenige Informationen über dieses Schauspiel.

Auch eine eilige Recherche im Internet bringt mich nicht wirklich weiter. Der Grund: Die bereits genannte Sprachbarriere. Als dann auch noch ironischerweise besonders starkes Schneetreiben und Glätte auf den Straßen aufkommt und ich im Schneckentempo mit dem Auto Richtung Forchheim zuckele, wünsche ich mir auch dringend Tauwetter herbei.

Trotzdem schaffe ich es pünktlich und habe sogar noch Zeit, Atilla Karabag, den Koordinator der Türkischen Gemeinde in Forchheim, zu bitten, mir grob die Handlung des Stückes zu erklären.
Der bringt freundlicherweise etwas Licht ins Dunkel meiner Ahnungslosigkeit.


Geschichte aus den 60er Jahren

Und siehe da: Das Thema beginnt mich zu interessieren. Die Geschichte spielt in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als in der Türkei nach einem Coup das Militär an die Macht kam. Daraufhin wartet eine Gemeinde in Anatolien, in einer besonders gebirgigen Gegend, auf die Ankunft ihres neuen Gouverneurs aus Ankara. Doch der kann nicht kommen, denn die Stadt ist durch ein Schneechaos von der Außenwelt abgeschnitten. "So ähnlich wie heute", scherzte Karabag mit Anspielung auf die örtlichen Witterungsverhältnisse. Da konnte ich ihm nur beipflichten.

Die Gunst der Stunde ergreift ein aus der Psychiatrie entlaufener Insasse, der sich kurzerhand für den neuen Machthaber ausgibt und das Leben der Bewohner gründlich durcheinander wirbelt. Soll heißen: Er bringt Gerechtigkeit und Ordnung in das verschneite Städtchen, bekämpft Misswirtschaft und Korruption und macht sich beim Volk beliebt. Das stimmt schon nachdenklich. Als ob das nur ein Irrer fertig bringen könnte, der bei seinem Handeln nicht nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Die Bürokratie schafft er dabei auch noch ab.
Als Ort der Theater-Geschehens dient das Amtszimmer des Gouverneurs. Alle Rollen scheinen treffend besetzt. Es wird nicht nur viel gesprochen, sondern auch viel gestikuliert und Gefühle und Stimmungen kommen auch an - ohne Türkisch zu verstehen.

Das Geschehen erklärt sich fast von selbst. Besonders beeindruckt Murat Ovant, der nicht nur die Hauptrolle des irren Gouverneurs spielt, sondern auch Regie führt. In der Pause frage ich ihn, warum seine Theatergruppe "Objektif Sahne" gerade ein Stück aus den 1960er Jahren gewählt hat. "Weil die Thematik immer noch aktuell ist", antwortet er. Der bereits gestorbene Autor des Bühnenstücks, Cevat Fehmi Baskut, ein Dramatiker und Journalist, hatte es im Jahr 1964 verfasst, um auf politische Missstände hinzuweisen.


Der Verehrer des Gouverneurs

Ebenso wie der Hauptdarsteller überzeugt Ertugrul Karakaya, der einen Landstreicher mimt. Dieser wird zum glühendsten Verehrer des vermeintlichen neuen Gouverneurs. Karakaya ist obendrein der künstlerische Leiter und hat auch schon im türkischen Fernsehen gespielt.

"Objektif Sahne" aus Nürnberg tritt zum zweiten Mal in Forchheim auf. Karabag betont, ihm sei Integration wichtig. Die deutsche Sprache sei der Schlüssel dazu. Andererseits wolle er auch die türkische Kultur und Sprache fördern. "Türkisch wird wenig gesprochen, auch ich habe nicht alles verstanden", meint Karabag. Darum möchte er gern mehr Mitbürger aus der türkischen Gemeinde ins Theater locken und Diskussionen über Werte anregen, die dort zur Schau gestellt werden.

Die Geschichte um den gerechten Irren jedenfalls endet nicht wie ein Märchen, sondern tragisch. Als das Eis schmilzt und der echte Amtsinhaber auftaucht, wird der unglückselige Gouverneur enttarnt und verhaftet. Das Ende vom Lied: Alles wird wieder so schlecht, wie es vorher war. Und dabei möchten die Bürger der Stadt doch "ihren" guten Volksvertreter behalten.

Ich meine, dass auch ein deutsches Publikum das Stück genießen würde. Vorausgesetzt, es wäre ins Deutsche übersetzt worden oder zumindest die Handlung vorher erklärt. Als ich selbst nach Hause fahre, sind die Forchheimer Straßen vom Schnee geräumt. Manchmal ist es also auch gut, wenn es taut.