Ein Freibeuter, der unter Bäumen philosophiert, und über Wiesen spaziert. Richard Leopold will den Landtag entern, um Fragen zu stellen.
Ein Pirat mit Zopf marschiert einen verwilderten Waldpfad entlang. Mit den Händen gestikulierend spricht er von großen Denkern. Ist er ein Suchender? Befindet sich da einer auf dem Holzweg: Ein einsamer Pirat ohne Augenbinde und Schiff, weit weg vom Meer?
Richard Leopold schüttelt den Kopf. Er philosophiert eben gerne, dieser Mann mit den sanften Zügen. Hart ist nur der Händedruck des Landtagskandidaten der Piratenpartei. Sonst wirkt Leopold so zart, als ruhe der 47-Jährige zengleich in sich selbst. An seiner hanseatischen Art liegt das nur zum Teil. An seiner Vorstellung von Politik schon eher.
"Ich bin ein Meta-Politiker", sagt Leopold und der Wald denkt sich wahrscheinlich: Jammerschade. Oder der Arme. Leopold ficht das nicht an. "Die Blockparteien mit ihren klassischen Grabenkämpfen finde ich langweilig. Ich bin eher analytisch. Damit kommen nicht alle Leute klar", sagt der Piraten-Kandidat selbstbewusst.
Leopold denkt Politik, und das quasi über sie selbst hinaus. Er will über den theoretischen Tellerrand blicken. Hat weniger den Staat, sondern das Gemeinwesen im Blick. Und damit das funktioniert, muss sich das Staatswesen ändern. Schließlich bewege sich die Gesellschaft von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Die klassische Maloche, die klassische Industrie gebe es nicht mehr. Zumindest für die zunehmende Mehrheit der Gesellschaft.
Leopold ist das beste Beispiel dafür. In Forchheim geboren, der Vater dann nach Norddeutschland, der Sohn dann Abi, Uni und Chemie-Ingenieurwesen. In den 90ern lockt ihn die Computer-Welt nach Hamburg an die Alster. Jeder der einen PC programmieren kann, bekommt einen coolen Job und ein fesches Gehalt. Als die IT-Blase ein Jahrzehnt später platzt, hat Leopold in Forchheim schon seine Ich-AG gegründet. Branche: Computer. Angestellte: Null.
Der Blick öffnet sich
Dann öffnet sich der Wald und der Blick. Die Wiesen liegen grün und friedlich da. "Das ist die Zweng, Trinkwasser-Gebiet", sagt Leopold und zeigt auf ein eingezäuntes Grundstück mit einem Wald, den man vor lauter Bäumen in Reih und Glied kaum sieht. Leopold denkt bei diesem regelmäßigen Anblick aus Baum-Stämmen und Zaun-Rauten nicht an Mondrian, den Maler, sondern Foucault, den Denker. "Überwachen und Strafen" interessiert ihn schon sehr. Der Weg zur Erkenntnis aber noch mehr.
Eingebildet ist Leopold nicht. Übergeschnappt auch nicht. Dafür ist er viel zu gescheit, dieser Leopold. Warum will dieser Herr Leopold in den Landtag? "Um Fragen stellen zu können", sagt er schlicht und einfach.
Ob wohl an dieser Stelle viele lachen, wenn Leopold das beim Wahlkampf im Bierzelt sagt? Vielleicht. Aber Leopold ist kein Bierzelt-Politiker. Im Grunde ist er überhaupt kein Politiker. Sondern etwas dazwischen. Meta eben.
Ein Pirat will ins Parlament
Der Pirat will stellvertretend für die aufkeimende Wissensgesellschaft hinter den politischen Vorhang schauen. Eine "neue Streitkultur" vom Zaun brechen im Parlament. Anfangen die richtigen Fragen zu stellen. Kommunikation eben. Nicht als l´Art pour l´Art. Sondern mit dem festen Ziel, die alten Prämissen über Bord zu werfen. Dafür braucht er von den Wählern ein Mandat. Wie wahrscheinlich das ist? Im Wahlkreis tritt er immerhin als Direktkandidat an. In der oberfränkischen Wahlliste liegt er abgeschlagen auf Platz 13.
Möglich ist vieles. Bei Licht betrachtet sind die Chancen aber ziemlich unrealistisch. Utopisch geradezu wenn man bedenkt, dass die Piratenpartei in der letzten Zeit beinahe von der Bildfläche verschwunden ist.
Das schreibt Leopold dem eingeübten Wechselspiel zwischen den etablierten Parteien und Medien zu. Im aktuellen Wahlkampf habe die Alternative für Deutschland (AfD) die mediale Rolle des Außenseiters verpasst bekommen. Leopold spricht trotzdem. Wenn auch nicht auf Marktplätzen und Wahlveranstaltungen. Die Wähler müssen den Piraten-Kandidaten finden. Sich auf ihn und seine Themen einlassen. Leopold ist eben kein Politik-Lautsprecher. Leopold ist ein flüsternder Politik-Philosoph, der den Verstand, nicht das Ohr verführen will. Zum Beispiel mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle post-industriellen Bürger. Leopold fordert im gleichen Atemzug ein Grundauskommen des Staates. Die Gier des Fiskus müsse gebändigt werden.
Fragen stehen, Details noch nicht
Wie das alles en Detail gehen soll, weiß Leopold auch noch nicht ganz genau. Mit seinen Fragen will er anecken. Nicht um das Streiten neu zu erfinden, sondern die Interessen der Gesellschaft neu auszutarieren. "Themen werden doch in diesem Wahlkampf von den anderen Parteien überhaupt nicht mehr plakatiert. Nur Personen und Emotionen. Es werden alle problematischen Themen weggedrückt. Die Wirtschaftskrise ist Schall und Rauch."
Früher diktierte der König die Welt. Dann beruhte der Machtanspruch auf industrieller Produktion. "Jetzt haben wir eine Entwicklung, wo der Machtanspruch in den Cyberspace hinein mündet. Wir sind aber gerade erst am Anfang einer Entwicklung." Der Staat und mit ihm die Politik beruhen nach Leopold noch auf den alten Prämissen des Merkantilismus. Leopold will in den Landtag, damit die Menschen der neuen Netz-Gesellschaft mit ihren neue Lebenswirklichkeiten einen realen Interessenausgleich im Parlament erstreiten können.
Die Freiheit unter den Sohlen
Um bei allen Fragen nicht den Überblick zu verlieren, muss Leopold hinaus. Ins Grüne. Weg von den Kommunikationsräumen im Cyberspace. Rein in den Wald. Und denken. Vielleicht an Heidegger und "die Einsamkeit des Feldweges", die sich unter die Sohlen schiebt. "Das schätze ich so an Forchheim. Man ist in fünf Minuten ganz allein mit sich im Grünen", sagt Leopold, der Freibeuter und Freigeist, der das Freisein unter den Sohlen sucht.