Ohne Auto sind flexible Tagesausflüge unmöglich - oder? Um das zu testen, fährt FT-Reporterin Lucie Homann mit dem ÖPNV von Forchheim aus spontan durch den Landkreis. Heute geht's bis Heiligenstadt.
Heiligenstadt existiert nicht. Laut der VGN-App auf meinem Handy gibt es weder den Ort in der Fränkischen Schweiz noch fahren aktuell Busse oder Züge in die Marktgemeinde. Ich schiebe es auf einen technischen Fehler und drucke mir zumindest die Verbindung Richtung Ebermannstadt aus.
Schon der erste Bus lässt mich warten
Die Bushaltestelle Kolpinghaus liegt gegenüber der Forchheimer Redaktion, doch der nächste Bus lässt auf sich warten. Also laufe ich die 15 Minuten zum Bahnhof.
Mein Handy nutzt den Fußweg produktiv. Bei der Ankunft am Gleis hat die App Heiligenstadt wiedergefunden und lässt mich sogar ein Online-Ticket lösen. Für 6,88 Euro geht es pro Einzelfahrt nach Heiligenstadt. In einer Stunde soll ich da sein.
In den Schulferien fahre ich einsam
Die Agilis Richtung Ebermannstadt ist menschenleer. An dieser Stelle sei erwähnt, dass meine Fahrt während der Sommerferien stattfand, sonst wäre das Regio-Shuttle voll von Schülern, die die 20-minütige Fahrt zum Abschreiben ihrer Hausaufgaben nutzen.
Doch so ziehen Pinzberg und Gosberg an mir vorbei, ohne dass jemand die Haltewunschtaste drückt. In Ebermannstadt habe ich laut App drei Minuten Umsteigezeit. Hektisch sprinte ich zum Bussteig. Zwei unnummerierte Busse, dazwischen zwei blaue Minivans warten auf die Ankommenden. Also auf mich und eine ältere Dame, die sich hinten im Zug versteckt haben muss.
Ich frage einen jungen Busfahrer, mit welchem der Gefährte ich nach Heiligenstadt komme. "Mit mir. Hab' ich die Anzeige oben nicht angemacht?" Er zieht die Tür der Fahrerkabine samt Plexiglasscheibe zu. "Wenn keine Schule ist, ist der Bus immer leer. Nur manchmal fährt eine Frau von Dorf zu Dorf mit", erklärt er entschuldigend.
Pawel, der Busfahrer aus Leidenschaft
Sein Name ist Pawel. Ursprünglich kommt er aus Polen, seit fünf Jahren arbeitet er als Busfahrer in Deutschland. Seit drei Jahren für den Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN).
"Man muss das Busfahren einfach lieben", erzählt er als wir Gasseldorf durchqueren. Er genießt auch die Strecken ganz ohne Fahrgäste.
Während der Schulzeit hat der junge Pole auf der halbstündigen Fahrt Richtung Heiligenstadt allerdings kaum Ruhe: "Wenn die Schule wieder angeht, dann ist der Bus voll. Die Schüler sind oft -", Pawel stockt auf der Suche nach dem passenden Wort. "... unartig, ist das richtig? Sie klettern im Bus rum. Da muss ich manchmal streng sein. Aber es gibt auch nette Kinder," lacht er.
Mit Hygieneabstand zur Schule - im Bus undenkbar
Wie die Schulfahrten unter Corona-Bedingen aussehen sollen, kann er sich noch nicht vorstellen. "Vor den Ferien sind nicht alle Kinder in die Schule gegangen, ein paar waren immer zu Hause. Aber nach den Ferien sollen alle zurückkommen."
Das Problem werden seine Kollegen lösen müssen, denn Anfang September wird Pawel erstmal Urlaub machen. Zuhause in Polen.
Bushaltestellen sind beliebte Plauder-Plätzchen
Auf den Bänken der Bushaltestellen, die an uns vorüberziehen, sitzen ältere Männer, schwatzen, rauchen und winken Pawel zu. "So weiß ich, dass ich nicht halten muss. Das spart Zeit", erklärt er. An der Haltestelle "Heiligenstadt Raiffeisenstraße" lässt Pawel mich raus. Für ihn geht es gleich weiter nach Bamberg.
Bis zu meiner Rückfahrt nach Forchheim habe ich über eine Stunde Zeit. Ich schlendere durch den Ort und komme am Bürgerbüro vorbei. Wieso also nicht die Zeit nutzen, um nachzufragen, wie die VGN-Verbindung den Tourismus beeinflusst? Schließlich rühmt sich Markt Heiligenstadt als Radler- und Wanderregion.
Fazit des Ausflugs: Mehr Busfahrer als Fahrgäste
"Die meisten Touristen kommen trotzdem mit den eigenen Autos", erklärt Jaquelin Stöcklein, zuständig für den Bereich Tourismus. Ob das an fehlender Anbindung liegt, kann sie mir nicht sagen. Dafür empfiehlt sie mir noch den Bäcker nebenan. Doch ich muss zurück zur Bushaltestelle. Die Linie 221 Richtung Ebermannstadt wartet schon.
Wieder bin ich der einzige Fahrgast. Dieses Mal gibt es kein Pläuschchen mit dem Busfahrer. Ein schwarz-gelbes Absperrband und mehrere Corona-Warnzettel halten mich davon ab.
Da ich in Ebermannstadt eine Viertelstunde Umsteigezeit habe, wage ich das Experiment und steige eine Station früher aus. Das Fenster einer Therapiepraxis belohnt mich dafür: Ein Skelett mit sattgrünem Hemd und pinker Taucherbrille grüßt vom Fenster aus. Ich will unbedingt ein Foto davon machen. Doch das kostet Zeit, so muss ich die letzten Meter zum Bahnhof sprinten. Gerade noch rechtzeitig erreiche ich die Agilis zurück nach Forchheim.
Hintergrund zu unserem ÖPNV-Test:
Leserthema Wir haben FT-Leser gefragt, welche Themen sie in der Region bewegen. Am häufigsten wurden öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und die unzureichende Anbindung der Landkreis-Gemeinden genannt.
Selbsttest Unsere Reporter fahren in verschiedene Gemeinden des Landkreises. Ein ÖPNV-Test begleitet die Serie, aber auch ein Vergleich zum ÖPNV in anderen Landkreisen steht auf dem Themenplan.
Einladung Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Schreiben Sie uns Lob und Kritik zum ÖPNV an redaktion.forchheim@infranken.de
Ziel Mit und für unsere Leser möchten wir aktiv an der Verbesserung des ÖPNV mitarbeiten. Ein Forderungskatalog soll entstehen, mit dem die Entscheidungsträger konfrontiert werden können.