Im Oktober 2015 geraten zwei Bewohner einer Forchheimer Unterkunft in Streit. Einer der beiden zückt ein Küchenmesser und sticht zwei Mal zu.
Weinend sitzt der 34-Jährige auf der Anklagebank des Schwurgerichts am Landgericht Bamberg. Schluchzend entschuldigt er sich dafür, dass das Gericht wegen ihm jetzt so viele Probleme habe. "Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um Ärger zu machen. Ich habe mir bis zu diesem Tag nichts zu Schulden kommen lassen", lässt der Asylbewerber aus dem Kosovo seinen Dolmetscher übersetzen.
Dieser Tag hat das Leben des fünffachen Familienvaters allerdings von heute auf morgen komplett verändert. Seit dem 28. Oktober 2015 sitzt der 34-Jährige, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, einen anderen Asylbewerber aus Palästina in einer Forchheimer Unterkunft mit einem Küchenmesser attackiert und schwer verletzt zu haben.
Zu den Tatvorwürfen will er sich am ersten Prozesstag nicht äußern. Unter Tränen gibt er lediglich an, dass es Gründe für die Attacke gibt. "Ich bin provoziert worden", sagt der 34-Jährige, der bisher keinerlei Vorstrafen aufzuweisen hat.
Rangelei an der Eingangstür
Was war geschehen? Laut Anklageschrift steht das spätere Opfer gegen Mitternacht vor der verschlossenen Eingangstür der Gemeinschaftsunterkunft, in der er mit der Familie des Angeklagten seit längerem wohnt. Der Palästinenser klopft mehrfach gegen die Tür. Davon wird die Frau des Angeklagten wach, die ihren Mann aufweckt.
Der Angeklagte soll den Ruhestörer dann an der Tür zur Rede gestellt haben. Es kommt zu einer Rangelei. Nach einem Faustschlag gegen die Wange des Opfers soll der Streit eskaliert sein: Der Angeklagte soll mit einem Küchenmesser zwei Mal zugestochen haben. Ein Stich verletzt den 24-Jährigen schwer, er muss in Erlangen notoperiert werden. "Er befand sich in akuter Lebensgefahr", unterstreicht Gerichtsmediziner Peter Betz in seinem Gutachten.
Der Palästinenser, der mittlerweile in Berlin lebt, bestätigt bei seiner Zeugenaussage den Inhalt der Anklageschrift größtenteils. Er habe mit einigen befreundeten Syrern deren genehmigte Aufenthaltserlaubnis gefeiert. Dabei sei auch Alkohol geflossen. Als er dann in der Nacht zurück in sein Zimmer will, sei die Tür der Gemeinschaftsunterkunft verschlossen gewesen. Deshalb habe er geklopft.
Als er schon zurück zu seinen Freunden gehen wollte, habe der Angeklagte die Tür geöffnet und ihn zur Rede gestellt. "Ich wollte mich entschuldigen, aber er hat mich angeschrien und wollte mich nicht in die Wohnung lassen." Irgendwann sei die Situation dann eskaliert. Er habe einen Faustschlag eingesteckt. "Dann habe ich mich gewehrt."
Ins Treppenhaus gerettet
Urplötzlich habe sein Kontrahent dann zwei Mal mit dem Messer zugestochen. Panisch sei er nach draußen gerannt, der Täter sei ihm gefolgt. Glücklicherweise habe er sich ins Treppenhaus eines anderen Wohnbereichs retten können. "Sonst hätte er mich vielleicht noch umgebracht." Die befreundeten Syrer informierten den Notarzt und die Polizei.
Die Messerattacke kann sich der Palästinenser, der auch Monate nach der Tat medizinisch betreut werden muss, nicht wirklich erklären. "Wir hatten nie Probleme." Der Angeklagte habe sich auch mit anderen Asylbewerbern verstanden. "Mir wurde erzählt, dass er mit ihnen Fußball gespielt und ihnen die Haare geschnitten hat."
Ehefrau sagt aus
Ganz anders berichtet die Ehefrau des Angeklagten vor Gericht über die Tatnacht. Nachdem ihr Mann in Richtung Tür gerannt sei, habe sie irgendwann gesehen, dass der Palästinenser einen Besenstil auseinander gebrochen habe. "Damit wollte er meine Mann angreifen!" Dieser habe dann ein Küchenmesser aus der Schublade geholt. "Dann haben sie gerangelt." Mehr habe sie aber nicht beobachtet.
Diese Zeugenaussage wollte Bambergs Oberstaatsanwalt Otto Heyder nicht so ohne weiteres stehen lassen. "Ich habe den Verdacht, dass sie nicht die Wahrheit sagen und ihrem Mann helfen wollen. Das schadet ihm aber eher." Trotz der Androhung, dass sie wegen Falschaussage noch im Gerichtssaal verhaftet werden könnte, blieb die Frau bei ihrer Darstellung. "Es ist genau das, was ich in dieser Nacht gesehen habe."
Urteil wohl am Montag
Detailliert ging der behandelnde Arzt, der das Opfer operiert hatte, auf die Verletzungen ein. Demnach habe der 24-Jährige viel Blut verloren, zudem sei ein Lungenflügel schwerwiegend verletzt worden. Das Opfer habe sogar Glück im Unglück gehabt. "Einer der Stiche ging nur knapp an den großen Gefäßen vorbei."
Gerichtsmediziner Peter Betz bestätigte die Schwere der Verletzung. Das Opfer, das über einen Liter Blut verloren hatte, wäre verblutet, wenn es nicht sofort versorgt worden wäre. "Es war kurz vor zwölf", so der medizinische Gutachter.
Der Prozess wird am Mittwoch, 20. April, fortgesetzt. Das Urteil soll am kommenden Montag, 25. April, gesprochen werden.