Marita Dippacher wurde Hospizhelferin, weil sie "etwas Nutzvolles für den Nächsten" tun will. Dabei hat die 67-Jährige entdeckt, wie viel Kraft diese Arbeit auch ihr selbst gibt.
Ob die Hospizarbeit sie nicht belaste? Darauf werde sie oft angesprochen. "Aber nein", sagt Marita Dippacher, "im Gegenteil, diese Arbeit gibt mir Kraft." Kaum hat sie im Elisabethenheim das Zimmer von Maria Müller (Name von der Redaktion geändert) betreten, wird auch deutlich, warum das so ist. In Decken gehüllt, sitzt die 93-jährige in einem Sessel und beginnt zu strahlen, als sie die Stimme von Marita Dippacher erkennt.
Die Hospizhelferin greift die Hand von Maria Müller. "Das ist eine ganz Liebe. Sie ist immer so aufbauend", freut sich die 93-Jährige. Sie beginnt aus ihrem Alltag zu erzählen. "Es stürmt so viel auf mich ein."
Die Gedanken der alten Dame kreisen immer wieder um ihre Blindheit. Sie sei "ein bisschen durcheinander". Aber im nächsten Moment ist sie völlig konzentriert, denn Marita Dippacher hat ein Blatt aus der Tasche gezogen. "Ich hab einen richtig schönen Text dabei." Sie beginnt die Geschichte vom "Zug des Lebens" zu lesen. Die beiden Frauen kommen indirekt auf den Tod zu sprechen; auf jene Menschen, die aus dem Zug des Lebens schon ausgestiegen sind, während man selbst noch weiterfährt...
Maria Müller erinnert sich an ihre Eltern, an ihre Schwester, um die sie sich bis zu deren Tod gekümmert hatte. "Das große Rätsel", heißt es in dem Text weiter: "Wir wissen nicht, an welcher Haltestelle wir aussteigen." Maria Müller nickt, denkt eine Weile nach, dann sagt sie mit einem schelmischen Lächeln: "Ich möchte sterben, aber der liebe Gott mag mich nicht."
Die Beschäftigung mit dem Thema "Tod und dem Leben danach" hat Marita Dippacher zur Hospizarbeit gebracht. Der erste Impuls liegt 15 Jahre zurück. Damals, erinnert sich die heute 67-Jährige, habe sie einen Beschluss gefasst: Im Ruhestand werde sie sich der Hospizarbeit widmen. Zehn Jahre später absolvierte sie den "Grundkurs Hospizarbeit"; vom November 2015 bis Februar 2016 dann den Aufbaukurs.
Sie erinnert sich auch an den Tag, als sie von Sieglinde Graf (Koordinatorin des Christlichen Palliativ- und Hospizdienstes der Caritas) für ihren ersten Hospiz-Besuch gerufen wurde: Drei Tage lang hielt sie die Hand einer sterbenden Frau; befeuchtete ihr die Lippen, war für sie da. Erstmals erfuhr Marita Dippacher, was es bedeutet, "würdevoll zu sterben".
Begleitung über Jahre
Doch Hospizarbeit bedeutet nicht zwangsläufig, am Bett von Sterbenden zu sitzen. "Es geht um die Begleitung in den letzten Lebensjahren", betont Marita Dippacher. Ihre Begegnung mit Maria Müller zeigt, wie lebendig diese Begleitung sein kann. "Sie ist topfit", sagt die Hospizhelferin über die 93-Jährige. Die genießt seit ihrer Erblindung die Segnung des Radios. Den ganzen Tag läuft Radio Horeb. Der Sender mit seinen Nachrichten, Messen und Exerzitien sei "so lebensnah", erzählt Maria Müller. Und zwischendurch besuche sie Mitbewohner: "Ich geh oft raus und spreche Leute an. Ich bin unterwegs, zu trösten - das ist meine Aufgabe."